Der Abend vor dem Frauentag, 7ter März, Mischa, Irina, Timur, Irinas Bruder, und ich – ab nach Ufa. Ein Parkhaus, erste, zweite, dritte, vierte, fünfte und sechste Etage, durch ein paar Türen, vorbei an einer Eislauffläche, elektronische Musik, ein Freizeitzentrum, „Megapolis“, nach der Sicherheitskontrolle Videospiele, Bowling, Billard, ein Klub. Freier Eintritt, aber Stilkontrolle, das einzige Muss: Lederschuhe, ich mit 3 Kilo Winterstiefel am Fuß.

Drinnen ein bisschen Hochglanz-Retorte, aber eine volle Tanzfläche, mehr Frauen als Männer, was für ein Land. Ganz hinten am Tisch, gerade in den letzten Zügen des Essens, Irinas Freunde, aus den Boxen seichter House, am Tisch vor uns eine reine Frauenrunde, schmale Zigaretten und eine Flasche Wodka.

Ich nehme ein ungefiltertes Bier und die erste russische Lucky Strike, erstmal beobachten, verstehen. Ein Frauenrücken in einem hochgeschlossenen schwarzen Wollkleid mit goldenem Reißverschluss, dreht sich und gibt den Blick frei, hübsch, prostet mir zu, ich mache irgendeine doofe Geste, vorbei, fuck, super Einstand.

Dann Livemusik, Irinas Freunde, eine Cover-Band, erster Song „Price tag“ von weißnichtmehrwem, besser als ich das Original in Erinnerung hab. Irina, Mischa und Timur auf der Tanzfläche, ich komme dazu, den Patzer gerade vergessen. So gut wie die Frauen sich hier bewegen, so steif sind die meisten Männer in der Hüfte, hält sie sympathischerweise nicht ab vom tanzen. Nach Wrecking Ball ist Pause, Analyse und ein Schluck Vodka für die Musiker vor dem Klub, bis auf den Bassisten alle mit Ehepartner.

Ich entferne mich, ein professionell-nachlässiger Blick auf die Billard Tische, einstudiert in den vielen Stunden am grünen Tisch, American-Pool und Pyramid, kein Konkurrent weit und breit. Da, zwischen den Tischen geht sie, daß Wollkleid kurz, die schwarzen Stiefel hoch, wirft mir einen Blick zu?

Die anderen sind weg, die Musik spielt wieder, ich bin müde, rein, nach hinten, niemand da, der Tisch einsam, der Aschenbecher auch, ich zünde mir eine Zigarette an, beobachten. Vor mir der Frauentisch, alle da, sie sitzt mir abgewandt, mein Blick geht an ihr vorbei, die Bühne, die Tänzer, nur Vorwand, ich beobachte sie, eine Freundin an ihrem Ohr, ein Finger in meine Richtung? Ich sitze, dieses Gefühl in der Brust, täusche ich mich? Warten, sicherer Blick, bestimmt eine Viertelstunde, da, der letzte Song, die Anspannung weicht langsam…

Dann, alles leicht und schnell, sie dreht sich um, winkt mich her, eindeutig, schon auf der Tanzfläche, ein Tanz, klassisch, eng, sie fragt nach meinem Namen, danach versteh ich nichts mehr, ich antworte, Viktor, aus Deutschland, kein Russisch, Englisch? Mehr als ihren Namen schaffen wir nicht. Raja, schöner Name, da geht sie, das Kleid kurz, die Stiefel hoch. Schade. Ich bleibe, gelehnt an das DJ-Pult, Enttäuschung und Erleichterung, 5 Minuten, dann zurück, ihr Tisch ist leer, unserer voll, die Musik ist zu Ende, Irina beugt sich zu mir rüber, ein Zettel, eine Nummer, der Name: Raja.

Die nächsten Minuten vergehen schnell, ein Foto, dann Abschied von allen, das Hochgefühl hält an. Auf der Eislauffläche zieht ein Einzelner im schwachen Licht der Scheinwerfer seine Runden. Erst im Auto wieder klar.

 

Russischer Chanson vermischt sich mit den Geräuschen der Straße, die tiefe, innere Stille der Rückfahrt. Unterbrochen, ein Zwischenstopp am Blumenladen, halb vier Uhr nachts, immer noch geöffnet, heute der 8. März, das Geschäft des Jahres. Mischa steigt aus, Timur, nach kurzer Bedenkzeit, hinterher. Irina schläft.

Ein Mann, im Rückspiegel, wandert von Auto zu Auto, bleibt neben mir stehen, ein Meter und 5mm Glas zwischen uns, er gestikuliert, ich kurble die Scheibe nicht runter, er fängt an zu reden, laut, ich verstehe nichts. Die Hoffnung: Irina wacht nicht auf, er zieht ab, und die Blumen-“Überraschung“ funktioniert. Enttäuscht. Irina, schlaftrunken, lässt die Scheibe runterfahren, er fängt an zu erzählen, die Scheibe schließt sich langsam wieder, kein Wort zu ihm. Irina sagt, er wollte einen Witz erzählen, wohl weder die richtige Zeit, noch der richtige Ort um Fremden einen Witz zu erzählen.

Die unvermeidbare Frage, warum stehen wir hier? Ich versuche auszuweichen, keine Chance, Irina wirft einen Blick nach rechts, keine Antwort nötig. „Ahh, they will present us flowers, like every year“, lapidar, nicht enttäuscht, man hat eine Übereinkunft gefunden, trotzdem, sie kündigt an so zu tun als würde sie weiterschlafen. Teil der Übereinkunft. Mischa und Timur, mit Blumen im Arm. С восмого марта!

Viktor Sommerfeld, März 2014