Volkswagenstiftung finanziert Projekt zur Erhaltung baschkirischer Böden
Auf dem Feld neben der schnurgeraden Landstraße reibt sich eine weiß-braune Kuh genüsslich an einem Erdvorsprung, der die flache Landschaft in zwei Ebenen teilt. Die russischen und deutschen Geografen im Bus lachen und stellen fest, dass sie den Grund für die starke Erosion auf baschkirischen Böden damit anscheinend gefunden haben – und das nach der ersten Reise des eigentlich auf drei Jahre angesetzten Projektes. Da das aber vermutlich nicht die Ergebnisse sind, die sich die Volkswagenstiftung bei der Bewilligung dieses Projektes vorgestellt hatte, beschließen die Wissenschaftler ihre Erkundungstour durch die Steppenlandschaft der Republik Baschkortostan im Süden des Ural fortzusetzen.
Die Kulisse, die aus dem Fenster des altersschwachen Kleinbusses zu beobachten ist, weist für den Laien wenige Besonderheiten auf. Flaches Land, bewirtschaftete Flächen, gelegentlich ein aus liebevoll gepflegten Häusern bestehendes Dorf. Nach einigen Kilometern bricht plötzliche Hektik aus. Der Fahrer wird gebeten, unverzüglich anzuhalten. Ein schwarzes Feld mit einigen Strommasten hat das Interesse der Wissenschaftler auf sich gezogen. Die Männer stapfen einige Meter durch den Schlamm. „Das ist ein Ergebnis, das jeder sehen und verstehen kann und das schon viele unserer Annahmen beweist“, freut sich Tobias Meinel vom Lehrstuhl für Geoökologie an der Universität Halle, während er mit der linken Hand dunkle Erde zerbröselt. Die Strommasten stehen auf kleinen Grasinseln, die etwa 40 Zentimeter höher sind, als der sie umgebende Boden. Durch falsche landwirtschaftliche Nutzung wurde hier innerhalb einiger Jahrzehnte die Erde von den Feldern in Flüsse oder Seen gespült. Der fruchtbare Boden verschwindet somit im Laufe der Zeit. „Wir kennen das Problem natürlich schon lange“, weiß Aufar Gareyev, Professor für physische Geographie an der Universität Ufa, dem zweiten Partner des Vorhabens. „Doch wir hatten einfach kein Geld, um das Phänomen zu untersuchen und etwas dagegen zu unternehmen.“ Für den 60-Jährigen sind die 240.000 Euro, die die Volkswagenstiftung für das Projekt bewilligt hat, ein Segen. Nicht nur, dass er damit ein kostbares Gut in seiner Heimat schützen kann. Auch die Forschung in der Millionenstadt Ufa wird auf eine neue Ebene gehoben. „Das ist das erste harte internationale Projekt für die Geographie in Ufa“, berichtet Professor Manfred Frühauf, Leiter des Vorhabens, stolz.
Fasziniert stehen die zehn Wissenschaftler auf dem feuchten Boden und begutachten die Ausmaße. Sie ärgern sich, dass sie ein wichtiges Ziel ihres einwöchigen Aufenthalts in Ufa nicht erreichen werden. Messstationen sollten errichtet werden, die bis zum Sommer bereits einige Daten zum Auswerten geliefert hätten. „Die Geräte liegen leider alle im russischen Zoll“, schüttelt Frühauf verärgert den Kopf. „Und die wollen über 2000 Euro haben – obwohl es sich um Geschenke an die Uni Ufa handelt“, ergänzt Toralf Keller. Der 33-Jährige ist Doktorand innerhalb des Projekts und wird im Sommer dieses Jahres zwei Monate in Baschkortostan verbringen, um Messungen durchzuführen und erste Ergebnisse mit nach Deutschland zu nehmen.
Doch nicht nur die Böden der Republik faszinieren die Wissenschaftler. „Vor drei Jahren waren wir schon einmal hier. Damals hat uns Professor Gareyev eine einzigartige Erscheinung gezeigt, die man so in Deutschland nicht finden kann“, erinnert sich Frühauf. Beim nächsten Halt der Erkundungstour wird klar, wovon er spricht. Auf dem eigentlich flachen Land erheben sich imposante Hügel, die durchzogen sind von metertiefen Schluchten. Dunkle Gewitterwolken am Himmel verstärken die beinahe unwirkliche Atmosphäre in der kargen Steppenlandschaft. Trotz Plusgraden liegt immer noch Schnee, der nur langsam schmilzt, dabei aber lockeres Gestein mit sich reißt, wodurch die kantigen Abhänge entstehen, die im Russischen als „ovrag“ bezeichnet werden. Hundertmal hat das Team die Aufnahme der Landschaft schon gesehen, die das Deckblatt des Projektantrags ziert und zu dessen Erfolg beigetragen hat. Trotzdem sind sie wieder überwältigt vom Anblick der seltenen Naturerscheinung, für die es jedoch auf russischer und deutscher Seite jeweils voneinander abweichende Theorien gibt.
Überhaupt gibt es einige Unstimmigkeiten zwischen den Teams der beiden Nationen. „Aber das ist doch gerade der Reiz eines internationalen Projekts. Man unterscheidet sich eben nicht nur auf fachlicher, sondern vor allem auch auf kultureller Ebene“, gibt Frühauf zu bedenken. Außerdem sei er bisher, abgesehen von der Sache mit dem Zoll, sehr zufrieden mit dem Verlauf des ersten Besuchs beim russischen Projektpartner. Wenn auch die kommenden zweieinhalb Jahre so laufen, sind sich alle einig, werden die gesteckten Ziele auf jeden Fall erreicht. Eines der wichtigsten erläutert Toralf Keller: „Am Ende soll ein konkreter Katalog erstellt werden, der Empfehlungen zur besseren Landnutzung gibt. Denn das könnte bedeuten, dass die Bauern in der Region mit weniger Aufwand höhere Ernteerträge erzielen.“ Ein ehrgeiziges aber auch unsicheres Ziel. Denn – darüber sind sich alle Beteiligten im Klaren – es ist nicht gesagt, dass die Bauern die Empfehlungen auch umsetzen werden. Gareyev aber ist optimistisch: „Wenn sie merken, dass sie mehr Geld verdienen können, werden sie es schon tun.“
Zumindest für die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland ist das Projekt aber schon jetzt ein Erfolg, auf den – wie in Russland üblich – mit einem Wodka und einem herzlichen Toast angestoßen wird. Regentropfen fallen aus dem bedrohlich wirkenden Wolkenhimmel. Der Wind frischt auf. Mit ein paar schnellen Handgriffen packen die Wissenschaftler Geräte und Ausrüstung wieder in den weißen Kleinbus. Erschöpft sinken alle in ihren Sitzen zusammen, doch die müden Augen wollen sie doch nicht schließen. Denn auch auf der Rückfahrt können sich die Geographen nicht satt sehen an der beeindruckenden Landschaft entlang der schnurgeraden Landstraße.
Elisabeth Lehmann, Mai 2007