Hallo liebe „Baschkirienheute “- Leser!
Ich saß vor kurzem in der Küche, habe Hallorenkugeln gegessen, und über meine Arbeit in dieser wunderbaren Onlinezeitung nachgedacht. Ich plante nämlich neue Interviews und habe nach Veranstaltungen geguckt, über welche man evtl. schreiben könnte, und währenddessen schwirrte in meinem Kopf ein Gedanke herum, ein Gedanke mit einem Riesenfragezeichen dahinter, ja eine rhetorische Frage: hat denn der Durchschnittsdeutsche überhaupt eine Ahnung, dass es eine Gegend mit dem Namen Baschkirien und ein Volk mit der Bezeichnung Baschkiren gibt? Natürlich nicht! Die Bestätigung dieses Gedankens und meiner Schlussfolgerung daraus liefert mir übrigens fast tagtäglich das deutsche Wordprogramm, das die Wörter „Baschkiren“ und „baschkirisch“ als grammatikalisch inkorrekt einstuft. Ein Verbrechen ist es auf alle Fälle nicht, sich als eine in Deutschland lebende Person nicht mit Baschkortostan auszukennen, zumal viele Deutsche noch nicht einmal das Wichtigste über ihr eigenes Land wissen, wobei ich keine Ausnahme bilde. An dieser Stelle möchte ich eine kleine Anekdote als Bestätigung einbauen – meine Mitbewohnerin und Arbeitskollegin Katrin erzählte mir vor einigen Tagen mit großem Stolz, dass sie bereits mehrere Veranstaltungen von Rolf Hoppe besucht hatte. „Rolf wer?“, fragte ich sie, ganz verwundert über ihre Begeisterung, die Veranstaltung einer Person besucht zu haben, über deren Existenz, wie ich dachte, überhaupt keiner weiß. „Na Rolf Hoppe! Unsere Schauspiel- und Kinolegende Den kennt bei uns in Ostdeutschland jeder!“, erwiderte Katrin, nicht minder verwundert über meine Unkenntnis. Ich zuckte bloß mit den Schultern und dachte nach – über PDS und Rolf Hoppe, über Dresdner Russischbrot und Hallorenkugeln, über ostdeutsche Phänomene, die man in Westdeutschland weder richtig kennen noch verstehen tut.
Unkenntnis und Unverständnis sollten aber bekanntlich aus dem Wege geräumt werden, weshalb ich gerne ein wenig über Baschkortostan und die Baschkiren erzählen möchte, um unsere Artikel über hiesige Veranstaltungen und über das hiesige Leben an sich verständlicher zu machen!
Baschkortostan ist eine autonome Teilrepublik der Russischen Föderation, eins von insgesamt 89 sog. „Subjekten“ Russlands („Subjekt“ ist eine zusammenfassende Bezeichnung für die russländischen Regionen, die oftmals unterschiedliche Rechte haben und deshalb auch unterschiedlich benannt werden – z.B. autonome Republik, Provinz, autonome Provinz, Stadt mit Subjektstatus, autonomer Kreis). Als autonome Teilrepublik genießt Baschkortostan besondere Rechte innerhalb der Russischen Föderation; es hat mehr Selbstverwaltungs-rechte als eine Provinz (russisch Oblast). Baschkortostan wird beispielsweise nicht von einem sog. Gouverneur regiert, dem Oberhaupt in den gewöhnlichen Provinzen, sondern von einem Präsidenten. Der besondere Status Baschkortostans lässt sich aus der kulturellen und ethnischen Situation heraus erklären – auf dem Territorium Baschkortostans lebt nämlich ein Volk mit der Bezeichnung Baschkiren. Damit die Baschkiren ihre kulturelle und ethnische Identität bewahren können, wurde der Region, in der sie leben, besondere Rechte zuteil – so kann man den besonderen politischen Status Baschkortostans innerhalb der Russischen Föderation vereinfacht und sozusagen „Sendung mit der Maus“ – mäßig erklären.
Das baschkirische Volk ist ein Turkvolk und die baschkirische Sprache gehört der Sprachgruppe der Turksprachen an. Andere Turksprachen sind z.B. Tatarisch, Kasachisch, Aseri und Türkisch. Viele baschkirische Wörter ähneln sehr stark den entsprechenden türkischen, sodass Türken, die in der Hauptstadt Baschkortostans Ufa übrigens zahlreich vertreten sind, die baschkirische Sprache durchaus gut verstehen können. Viele junge Türken kommen nach Ufa um zu studieren, nicht zuletzt von der Kultur der Region angelockt, die in so mancher Hinsicht mit der türkischen verwandt ist. In der baschkirischen Hauptstadt gibt es zahlreiche türkische Restaurants und Bistros, und bzgl. der Qualität stehen die hiesigen Kebabhäuser den Kebabhäusern in Deutschland wahrlich in Nichts nach! Bereits mehrmals habe ich mich beim Kebabessen in Ufa an Deutschland und die geliebte Stadt Berlin erinnert; es ist doch irgendwie komisch, womit man Deutschland des 21. Jahrhunderts in Verbindung bringen kann – in diesem Fall mit den in Deutschland allseits präsenten Dönerbuden – multikulti eben!
Wahrlich multikulti ist auch die Millionenstadt Ufa – Russen und Baschkiren, Tataren und Tschuwaschen, Türken und Juden, Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen leben in dieser Stadt friedlich zusammen – ohne jegliche gesellschaftliche Isolierungen und Ausgrenzungen der einen oder anderen Volksgruppe. Baschkiren sind genauso wie die Tataren, der nach den Russen übrigens zweitstärksten Bevölkerungsgruppe in Ufa und auch ganz Baschkortostan – die Baschkiren selbst stehen demographisch gesehen in ihrer Republik also erst an dritter Stelle, sind muslimischen Glaubens. Ufa ist außerdem der Sitz des Obersten Mullahs der Russischen Föderation – zahlreiche, erst kürzlich errichtete, sowie bereits ältere Moscheen schmücken das Stadtbild der baschkirischen Hauptstadt. Die christlich-orthodoxen Gotteshäuser sind dabei ebenfalls sehr stark im Stadtbild vertreten und spiegeln die Größe und Bedeutung der russischen Bevölkerungsgruppe in Ufa wider – rund 55 % der Stadtbevölkerung Ufas sind Russen.
Ufa selbst ist geschichtlich und architektonisch gesehen eine sehr junge und moderne Stadt – große Bedeutung hat die Stadt erst während des 2. Weltkriegs erlangt, als viele industrielle Betriebe aus dem Westen der Sowjetunion gen Osten verlagert wurden, aus Furcht vor der faschistischen Okkupation. Bis in die 90er Jahre hinein war das Stadtbild Ufas von großen industriellen Betrieben und der monotonen Sowjetarchitektur geprägt. Seit dem Zerfall der UdSSR wurden und werden immer noch mehr und mehr Kräfte und Finanzen investiert, um das Stadtbild dieser vielseitigen Metropole am Fluss Belaja zu verschönern – es entstanden bereits zahlreiche kulturelle Einrichtungen, Parks, öffentliche Plätze, Einkaufspassagen und sogar mehrere „Wolkenkratzer“ von bedeutenden regionalen Banken, die ihrerseits von der starken wirtschaftlichen Kraft Baschkortostans zeugen. Die autonome Republik ist nämlich eines der wenigen „Subjekte“ der Russischen Föderation, das in die föderale Staatskasse in Moskau Geld einzahlt, statt es aus der Hauptstadt für die Erhaltung der sozialen Infrastruktur zu erhalten. Der Grund dafür ist die große Bedeutung Baschkortostans als Erdölverarbeitungsstandort; Erdöl wird hier teilweise auch gefördert, und da Erdöl in unserer Zeit mit finanzieller Stärke gleichzusetzen ist, geht es dieser Region finanziell gesehen gut. Diese Tatsache spiegelt sich wiederum in der sozialen Lage wider – hier in Baschkortostan stößt man seltener auf Obdachlose, bettelnde Kinder und andere traurige Phänomene der postsowjetischen Gesellschaft, als in anderen Teilen Russlands, obwohl natürlich festzuhalten ist, dass auch hier solch ein Problem besteht.
Was das Nachtleben von Ufa angeht, so ist das Angebot an Diskotheken durchaus groß, wobei in den meisten Clubs Techno gespielt wird und die musikalische Vielseitigkeit oftmals zu kurz kommt. Diese Lücke füllt zum großen Teil eine einzige Einrichtung – ein sog. Unterhaltungskomplex mit dem Namen „Ogni Ufi“ (das Licht bzw. das Feuer von Ufa – kann so und so übersetzt werden). Hier finden regelmäßig verschiedene Veranstaltungen und Konzerte statt, die die unterschiedlichsten Musikgeschmäcker befriedigen – von elektronischer Musik bis zum Hardrock. Genaueres über diesen Komplex, die mit diesem in Verbindung zu bringenden Menschen und weitere Recherchen, Vergleiche und Gedanken zum Thema Nachtleben in Ufa werdet ihr, unsere lieben Leser, aber in unseren nächsten Artikeln erfahren.
Eins ist noch auf alle Fälle über Baschkortostan festzuhalten – Uralgebirge im Osten, Steppenlandschaft im Süden der Republik, saftige Flusstäler in der Zentralregion – die Natur Baschkortostans ist genauso vielseitig und schön wie ihre Menschen!
Falls bei dem ein oder anderen ein gewisser Eindruck entstanden sollte – Nein, dies war ausdrücklich kein Werbeartikel von einem Tourismusbüro, das versucht, die Menschen hierhin zu locken. Es war lediglich ein Versuch von einem Anfängerjournalisten, euch für diese im Westen leider sehr unbekannte Region zu begeistern und die höchst positiven Eindrücke von Ufa und Baschkirien meinen Lesern mitzuteilen.
Sergey Simonov, 18.11.05