Als Ende 1991 die Sowjetunion zusammenbrach, fielen auch einige ihrer in Stein gehauenen Manifestationen, Denkmäler umstrittener Führungspersonen und Skulpturen sozialistischer Propaganda. Sie wurden zerstört, zerschmolzen oder anderweitig beseitigt. In Moskau allerdings fand man eine weitere Lösung und sammelte sie an anderer Stelle neu. Im Laufe der Zeit hat sich dort ein Park mit ganz eigentümlichem Charakter entwickelt.
Ein Sonntagnachmittag in Moskau, ein heißer Sommertag dazu. Die Menschen drängt es in die Parks und auf die öffentlichen Plätze der Stadt. Von der Metrostation Oktjabrskaja ziehen große Massen in den unweit gelegenen Gorki-Park. Direkt gegenüber, auf der anderen Seite des vielspurigen Krimskjy val, befindet sich der Eingang zu einem weiterem beliebtem Ausflugsziel, dem Moskauer Skulpturenpark „Muzeon“. Über 700 Arbeiten sind auf dem Gelände untergebracht, mehr als 200 weitere befinden sich im Magazin. Bekannt ist der Park dabei nicht zuletzt wegen jener Skulpturen, die im Wandel der Zeiten hier einen neuen Aufbewahrungsort gefunden haben.
Es sind vor allem Schöpfungen der Jahre zwischen 1930 und 1950, in erster Linie Abbildungen ehemaliger Sowjetführer, aber auch Arbeiter- und Bauerndenkmäler sowie andere Plastiken des Sowjetrealismus. Seit 1992 wurden sie von ihren alten Standorten hierher gebracht und so, wie sie beim Abladen hinfielen, zunächst liegen gelassen – die aus dem Englischen stammende Bezeichnung vom „Park der gefallenen Denkmäler“ trägt so in gewisser Weise eine zweifache Bedeutung.
Im Laufe der Zeit und mit zunehmendem Ausbau des Parks kamen weitere Skulpturen hinzu, zeitgenössische Werke insbesondere der 2000er Jahre. Auch die gefallenen Denkmäler wurden erneuert und wiedererrichtet. Mittlerweile bilden sie im Ensemble der Anlage aber eine deutliche Minderheit. Eine kleine Insel verdichteter sozialistischer Ästhetik in einer rapide sich erneuernden Umgebung. Denn gerade die Parkanlagen entlang der Moskwa, stehen seit Sommer letzten Jahres im Zentrum eines groß angelegten Projektes zum Ausbau der städtischen Naherholungsgebiete: der Schaffung einer 10 Kilometer langen Uferpromenade zwischen dem Kreml und den Sperlingsbergen.
Seit Herbst 2013 wurde in diesem Zusammenhang auch das Muzeon-Gelände erweitert um eine Fußgängerzone entlang des Flusses. Ein Mikrokosmos angenehmen städtischen Lebens im Sommer: zahlreiche Cafés, aber auch die schattigen und satten grüne Rasenflächen laden zum Verweilen ein, eine ganze Anlage tanzender Springbrunnen sorgt nicht nur bei den kleinsten Besuchern für spielerische Abkühlung, es gibt Bühnen für Musik, Büchertauschkisten und Fahrradverleihstationen. Pulsierendes modernes Leben.
Nur weniger Meter weiter thronen die Herren einer anderen Zeit, die Lenins, Stalins und Breschnews. Auch zwischen ihnen tummeln sich die Besucher, machen Picknick oder Fotos von ihren Kindern, während ein übergroßer steinerner Maxim Gorki strengen Blickes in den Himmel starrt. Die vielfachen Augenpaare Lenins sind verloren in die Ferne gerichtet. Scheinbar wie in Gedanken vertieft sitzt Michail Kalinin im Schatten eines Baumes und nur wenige Schritte weiter wird gerade die Statue von Felix Dserschinski restauriert. Der „eiserne Felix“, berüchtigter Gründer des ersten russischen Geheimdienstes.
Ein Sonntagnachmittag in Moskau, ein heißer Sommertag dazu, eine surreal anmutende Koexistenz zweier völlig verschiedener Welten. Mitunter droht die eine Welt die andere jedoch auf gespenstische Weise einzuholen. Erst im Februar 2014 trat ein Duma-Abgeordneter mit dem Vorschlag auf, die Dserschinski-Statue an alter Stelle wieder zu errichten, dem Platz auf der Lubjanka, vor dem Gebäude des FSB. Diese Idee wird seit 14 Jahren regelmäßig vorgetragen, fand aber auch dieses Mal bei der Moskauer Stadtverwaltung keine Zustimmung. Und so bleibt Dserschinski deshalb erst mal weiterhin dort, wo er sich seit August 1991 befindet, unter all den anderen gefallenen Denkmälern – wenn auch, grotesk genug, erneut aufrecht stehend in den sonnigen Sonntagnachmittag blickend.
Matthias Kaufmann, August 2014