Eine Stunde Fahrt von Halle entfernt liegt der „Wörlitzer Park“, einer der größten und ersten Landschaftsparks Kontinentaleuropas. Auf 112 ha sind Natur und Kunst aufs Beste vereint.
Der Wörlitzer Park ist ein Teil des Gartenreiches Dessau-Wörlitz, der im November 2000 als ein herausragendes Beispiel für die Umsetzung philosophischer Prinzipien der Aufklärung in einer Landschaftsgestaltung und Kunst in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen wurde. Diesen Schatz hinterließ nach seinem Tod Fürst Leopold III. dem Fürst Friedrich Franz von Anhalt-Dessau. Einen großen Einfluss auf die Gestaltung des Parks hatten seine Studienreisen nach England, Italien, Holland, Frankreich und in die Schweiz, sowie seine Verehrung der Antike, die Begeisterung für die gedeihende englische Lebenskultur und die Beschäftigung mit den Ideen der bürgerlichen Aufklärung. In allen Gartenteilen werden durch Inschriften, Plastiken, Gebäude, Brücken oder Pflanzungen Denkanstöße zur Auseinandersetzung mit der Natur, der Kunst, der Geschichte und der Philosophie gegeben
Der Wörlitzer Park wurde von 1764 bis 1800 erschaffen, und sehr vieles wurde hier im ursprünglichen Zustand erhalten. Die Anlage besteht aus fünf Gartenteilen: der Schlossgarten, Schochs Garten, Weidenheger, Neumarks Garten und die Neuen Anlagen. Sie werden durch Seen und Kanäle getrennt. Aus einem Teil in den anderen kann man über Brücken, Wege oder mit der Fähre gelangen. Übrigens unterscheiden sich die Brücken im Park voneinander und haben eine Grundidee: Sie symbolisieren die Erfahrungen der Menschheit im Brückenbau. Einige sind aus Holz, wie aus der Frühzeit, andere wie die Hängebrücken erinnern eher an das Mittelalter.
In Park gibt es durchdachte Sichtachsen. Und trotz des zum Teil dichten Waldes kann man von einem Ende der Achse ein Objekt am anderen Ende bewundern. So erstreckt sich die Aussicht vom Schloss auf einen goldenen Pokal. Hier befinden sich die sterblichen Überreste einer noch als Baby gestorbenen Tochter vom Fürst. Er konnte den Pokal immer im Auge behalten. Zu den Lebzeiten des Fürsten gab es über 300 Achsen. Später wuchsen sie zu, aber jetzt wurden 100 davon nach Erzählungen, Überlieferungen und erhalten gebliebenen Schriften wiederhergestellt.
Alle Gebäude sind in Park in zwei architektonischen Stilrichtungen ausgeführt: Klassizismus und Neugotik. Dem Klassizismus in Wörlitz entsprechen die englische Parkplanung, der Venustempel, das Pantheon, der Floratempel, das Nymphaeum und die Synagoge. Die Errichtung dieser Bauten erfolgte unter Leitung von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, Freund des Fürsten Franz, großer Humanist und Begründer des deutschen Klassizismus. Das Wörlitzer Landhaus, die Sommerresidenz des Fürsten Franz, ist das frühste klassizistische Bauwerk auf dem europäischen Festland.
Stand die Antike für das schöne und Vollkommene, galt das Gotische als das Symbol von Freiheit und Naturverbundenheit. Als wichtigste neugotische Bauwerke entstanden im Wörlitzer Park das Gotische Haus und die Kirche St. Petri. Übrigens werden in der Kirche jeden Sonntag Chorkonzerte veranstaltet. Am Tag, als wir Wörlitz besucht haben, trat der Kammerchor «TonArt» aus Halle auf. Die zu Gehör gebrachten Madrigale und sommerliche Chorweisen und die gute Akustik der Kirche begeisterten das Publikum.
Fürst Franz widmete den Bau des Landhauses und des Englischen Hauses seiner Gemahlin Louise. Von seinen zahlreichen Reisen brachte der Fürst viele der Antiken und Gemälde mit. Für die damaligen Verhältnisse gab es im Schloss sehr moderne funktionale Einrichtungen wie die Wasserleitung, Wandschränke und gusseiserne Öfen. Die meisten der Arbeiten am und im Schloss verrichteten die einheimischen Handwerker. Alles ist im Original erhalten und während einer Schlossführung zu besichtigen.
Das Gotische Haus wurde nach Entwürfen und Vorgaben der Baumeister Georg Christoph Hesekiel und Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff sowie des Fürsten zwischen 1773 und 1813 errichtet. Die Front des Hauptgebäudes an der Kanalseite ist der Fassade der venezianischen Kirche „Maria dell’Orto“ nachempfunden und für die Rückseite diente ein Bauwerk aus England, das Horace Walpoles Strawberry Hill, als Vorbild. Hier wurden Sammlungen des Fürsten, u. a. Glasgemälde des 15. bis 17 Jahrhunderts aus der Schweiz, sowie deutsche, niederländische und italienische Malerei untergebracht. Die Möblierung und Raumgestaltung sind auch neugotisch.
Sehr interessant ist das Bauwerk „Stein“. Er wurde nach einer der Reisen des Fürsten Franz nach Italien errichtet, wo er Augenzeuge eines Vesuvausbruches war. Danach entstand die Idee, seinen eigenen Vesuv zu „bauen“. Wie der richtige Vulkan spie der Stein Rauch und Lava. Danach wurde das Bauwerk von Fürst Franz vernachlässigt. Jetzt wird der Stein nach seinem langen Schlaf wieder in Betrieb genommen. Im September ist eine große Veranstaltung mit Besichtigungen des Inneren des Steines geplant. Den ganzen Tag soll der „Vulkan“ Rauch speien und den großen Ausbruch am Abend vorwegnehmen. Die angekündigte Veranstaltung rief großes Interesse hervor. Es gibt sehr viele Interessenten, die sich den wiederbelebten Stein anschauen möchten. Leider sind die Karten schon lange ausverkauft.
Außerdem gibt es im Park noch mehrere interessante Plätze und Besuch kann keine Zeitvergeudung sein. Unbeschreibliches Vergnügen bereiten Spaziergänge im Park oder eine Gondelfahrt. Der Park ist immer geöffnet für diejenigen, die sich einfach im Grünen erholen oder mit einer Kutsche, eine besonders raffinierte Variante, fahren möchten.
Dilara Dilmukhametova, 15.07.05