Eine Erzählung über das Denkmal der menschlichen Dummheit
Der westliche und östliche (jetzt verwendet man noch ein Attribut: „ehemalig(e)“) Teil Deutschlands unterscheiden sich merklich voneinander. Der Westen ist hektisch und geschäftig, es gibt viele Menschen hier, alles kostet mehr, aber es gibt Arbeitsplätze. Das Leben im Osten hingegen ist viel ruhiger, gemächlich und nicht so rasant. Das Durschschnittsalter der Menschen ist hier höher, in den Städten gibt es viele relativ günstige Wohnungen, aber es mangelt an Arbeitsplätzen. Es fällt sehr schwer Arbeit zu finden.
Jetzt sind die beiden deutschen Staaten eins, aber so war es nicht immer. Die Mauer, die die beiden Staaten von einander getrennt hatte, fiel erst vor sechzehn Jahren. Was für eine Mauer war es?
Die Berliner Mauer, die alle vom Bildschirm sehen konnten, ist nur ein Bruchteil von der echten Mauer. Die große deutsche Mauer erstreckte sich auf mehr als anderthalb Tausend Kilometer entlang der gesamten Grenze zwischen der BRD und der DDR. Sie war wirklich fast unüberwindbar. Man muss sich vorstellen: es war ein drei Meter hohes Gitter, das unter schwacher Spannung stand, darüber sind drei Reihen von Stacheldraht gespannt, dieses Netz ist geschützt durch Springminen, im Umfeld von fünf Kilometern von der Sperre selbst gab es nichts außer Straßen, wo regelmäßig Streifen liefen bzw. fuhren, der Wald dort war gerodet, alle Senken und sonstige Unebenheiten zugeschüttet. Dort, wo Dörfer in diese Fünf-Kilometer-Zone geraten waren, wurden diese mit einer Mauer umgeben und die Bewohner wurden mehrmals auf Zuverlässigkeit geprüft und immer im Auge behalten. Um nach Hause zu kommen, brauchte man einen Passierschein. Und selbst wenn Flüchtlinge es geschafft haben sollten den Kontrollstreifen, die Schusszone und den Zaun hinter sich bringen, erwartete sie dort eine Überraschung: Sie waren immer noch in der DDR, die Mauer selbst war keine Grenze. Die Soldaten durften auf die Menschen schießen, obwohl es offiziell immer geleugnet wurde. Man wählte als Grenzsoldaten die Zuverlässigsten, und keiner von ihnen hat die Mauer in der Nähe seines Zuhauses geschützt. Die Streifensoldaten wurden ständig ausgetauscht, damit sie untereinander keinen Komplott schmieden und zusammen flüchten konnten. Die Zone wurde mit echter Wehrtechnik überwacht – nicht nur Handfeuerwaffen, sondern auch Schützenpanzerwagen, Hubschrauber… Die Mauer wurde bis zur Wiedervereinigung ständig renoviert und modernisiert. Dafür wurden, eine Ironie des Schicksals, westdeutsche Firmen beschäftigt. Um die Mauer aufrecht zu erhalten, gab man gewaltige Summen aus.
Von westlichen Seite her gab es fast keine Kontrolle. Man konnte problemlos bis zur Grenze kommen. Dort, wo die Grenze durch einen Fluss verlief, wurden Paddeltouren durchgeführt. Dabei lief auf der DDR-Seite neben jedem Boot ein Soldat mit Lautsprecher, und wenn man zu nah an die sozialistische Grenze kam, warnte und bat er, das Boot am anderen Ufer auszurichten.
Doch dann fiel die Mauer. Deutschland wurde wiedervereinigt. Leider brachte das Zusammenleben nicht die Freude, die man erwartet hatte. Die anfängliche Begeisterung auf beiden Seiten und die fröhlichen Ausrufe am Brandenburger Tor verstummten. Die Berliner Mauer wurde abgerissen und in vielen kleinen Teilen verkauft. Die Verbrüderungen, die fröhliche Aufbruchstimmung sind vorbei. Geblieben sind nur viele Probleme, sowie viele unzufriedene Menschen. Manchmal hört man die Meinung, es wäre schön die Mauer wieder aufzubauen. Es sei so gut hinter der Mauer auf den beiden Seiten gewesen. Die Westdeutschen klagen darüber, dass ein Haufen Geld vom Westen in den Osten fließt, der wie in ein riesiges Loch ist, welches einfach nicht kleiner wird. Die Ostdeutschen sehnen sich nach den alten Zeiten der Brüderlichkeit, kostenloser medizinischer Versorgung und Bildung, sozialer Unterstützung und Vollbeschäftigung. Leider erinnert sich nicht jeder daran, wie sie insgesamt war und was sie bedeutete, diese MAUER…
Das Museum der deutsch-deutschen Grenze, welches nah bei Kassel ist, wurde zu dem Zweck gebaut worden, dass man sich daran erinnern möge und um davor zu warnen. Damit man die Fehler von damals nicht wiederholt, sondern nach vorn blickt.
Aber auf unserer vom Alten belasteten, engstirnigen Welt, die arm an geistigen Idealen geworden ist, baut man immer noch Wände…MAUERN…
D. Mukhametkulov, A. Vasiliev
Halle, 3. April 2006