Seit kurzer Zeit bewohne ich meine mittlerweile fünfte Unterkunft hier in Ufa. Im Laufe der Suche nach einer passenden Bleibe durfte ich dabei auch eine Reihe von Wohnungsbesichtigungen mitmachen. Sowohl das mehrmalige Umziehen als auch das Anschauen potentieller eigener vier Wände hat mich nicht nur quer durch die Stadt geführt, sondern auch kurze Einblicke in völlig verschiedene Wohn- und Lebenssituationen geboten.
Begonnen hat alles in einer Siedlung etwas außerhalb der eigentlichen Stadt. Wie an einer Perlenkette aufgereiht stehen hier entlang parallel verlaufender Straßenzüge vor allem Privathäuser, meist zumindest mit zwei Etagen. In dieser Gegend wohnen in erster Linie Menschen, die wohl mit zu den besser Verdienenden gezählt werden können. Ein gewisser Wohlstand ist hier also zu Hause und jene Bauten dienen dabei teilweise auch dazu, diesen, mitunter überdeutlich, zu präsentieren. Dabei ähneln die Wohnbauten dann eben mal kleinen Schlössern, etwa mit einem Türmchen an jeder der vier Ecken. Kleine Burgen könnte man auch sagen, denn meistens wirken die Häuser in ihrer Pracht ebenfalls trutzig und uneinnehmbar, umgeben von hohen Mauern und eisernen Toren. Bemerkenswert ist zudem, dass etwa ein Drittel der Häuser nie zu Ende gebaut wurden und so verkommen sie bereits vorzeitig zu Ruinen. Also doch schon eingenommen, da erobert vom Wildwuchs. Wie mir eine Bekannte erklärt hat, geht Vielen während des Baus einfach das Geld aus. Verkalkuliert im Wohlstand. Wurden sie aber fertig gestellt, so bieten sie einer ganzen Familie sehr viel Platz. Alles sehr modern eingerichtet. Oft noch im Keller gemütlich ausgebaut. Also insgesamt sogar drei Etagen.
Die nächste Station führte mich genau an das andere Ende der Stadt, in eine ähnlich gewachsene Siedlung. Mein Zimmer hier befand sich ebenfalls in einem Privathaus. Die Vermieterin wohnte zusammen mit ihrem Mann, ihrer Tochter und derem kleinen Kind im Keller, besser, im zu einer Wohnung ausgebauten Keller. Der Rest des Hauses, zwei Etagen mit acht weiteren Zimmern wurde vermietet. Das kleinste Zimmer mit drei, das größte mit sechs Betten. Die Restlichen irgendwo dazwischen. Ein ständiges Kommen und Gehen. Die Mieter waren vor allem Leute, die entweder nicht aus Ufa selbst, sondern nur zum Arbeiten hierher kamen oder die sich nicht mehr leisten konnten oder wollten. Ein Bett in einem Zimmer kostete etwa 3000-4000 Rubel pro Monat. Umgerechnet also etwa zwischen 60 bis 85 Euro. Ein Bad pro Etage. Eine Küche für Alle. In einem der Zimmer wohnten 5 Usbeken, die zum Arbeiten nach Ufa gekommen sind. „Steine klopfen auf dem Bau“, wie einer von ihnen erzählt hat. Ein karg bezahlter Knochenjob. Dennoch haben sie mitunter in einem großen Topf für alle Plow zubereitet. In meinem Nachbarzimmer lebte ein junges Ehepaar. Die Frau hat man kaum gesehen, „zu viele fremde Männer hier“, erklärte mir der junge Ehemann beim Abendessen, nachdem er ihr einen Teller in das Zimmer gebracht hat.
Zumindest einen Eindruck von einer ganz ähnlichen Art zu wohnen konnte ich auch noch bei einer der Zimmerbesichtigungen bekommen. Vom Makler wurde ich in ein Wohnheim geschickt, wobei der russische Begriff dafür, „Obscheschitie“, das Ganze viel besser umschreibt – also ein allgemeines Zusammenleben. Von außen eines jener, als „Chruschtschowka“ bezeichneten (da vor allem während der Zeit von Nikita Chruschschow errichteten) fünfstöckigen Häuser, die das Bild der Stadt so sehr prägen. Statt aber wie üblich aufgeteilt auf vier Eingänge und in jedem der so gebildeten Hausabschnitte drei bis vier Wohnungen pro Etage, gab es hier einen zentralen Eingang und auf jeder Etage einen langen Flur. Unzählige Türen die davon abgingen. Davor viele Schuhe. Dahinter in der Regel Einzimmerwohnungen. Einige Kinder spielten auf dem Flur. Laute Musik dröhnte hinter irgendeiner Tür hervor. Ein paar Frauen haben sich versammelt, um die potentiellen neuen Bewohner zu begutachten. Verschiedenste Gerüche aus der einzigen Küche für die eine Etage.
In einer weiteren Wohnung, die ich mir angeschaut habe, lebte eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Als Unterkunft hat sie die Couch im Wohnzimmer vermietet, dem Durchgangszimmer zu ihrem Zimmer und dem der Tochter. Vom engen Flur ging ein weiterer Raum ab. „Drei Studenten wohnen hier noch“, erklärte die Mutter, „alles prima Jungs. Wir leben hier ruhig miteinander.“ Einer kam gerade heraus, begrüßte mich, und verschwand zum Rauchen in den Hausflur. „Wir sind erst vor kurzem hierher gezogen“, erzählte sie mir bei einem Tee in der kleinen Küche, „die Mieten sind hoch, da muss man eben untervermieten.“
Viele Mietwohnungen sind bereits voll ausgestattet, dass heißt es gibt zumindest alle wichtigen Einrichtungsgegenstände. Schrank, Bett, Tisch, Waschmaschine, Küche sowieso. Oft ist das alles noch sehr alt, aus späten Sowjetzeiten oder zumindest den frühen Neunzigern. Massive Holzschränke etwa. Eigentlich sehr viel stilvoller als jeder Ikea-Schrank. Teppiche im Perserstil auf dem Parkettfußboden. Für ein bisschen mehr Geld bekommt man aber auch renovierte Wohnungen. ‘Evroremont’ ist hier das Stichwort. Modernes Design. Laminat. „Naja, das ist natürlich nicht Evroremont“, wie eine Bekannte beim Betreten meiner jetzigen Wohnung (ebenfalls in einer Chruschtschowka) bemerkte, „so sahen vor 20 Jahren noch alle Wohnungen aus“. Mir gefällt es. Aber ich bin ja auch bald wieder weg. Woanders im Haus bohrt jemand. Evroremont.
Matthias Kaufmann, Februar 2014