So schön der russische Winter auch ist, irgendwann reicht’s. Ach was, was heisst irgendwann!!?? Mir reichte es “schon“ im März. Und wenn dann auch noch der Kalender verspricht, dass der Frühling beginnt, sollte sich das Wetter doch bitte auch danach richten – aber nein, nicht das russische! Es gab Zeiten im März, da war es wunderschön warm, blauer Himmel und Sonnenschein. Der Schnee taute und ich kramte voller Hoffnung und Zuversicht meine Sommerjacke und die Turnschuhe hervor, um dann am nächsten Morgen enttäuscht in das Schneegestöber hinauszuschauen und doch wieder meinen Wintermantel anzuziehen. So ließ ich mich einige Male täuschen, aber dann taute es tatsächlich. Und wie es taute! Die Strassen und Wege mussten zum Teil reissende Fluten über sich ergehen lassen, so dass ich mich mich fast in meine Heimat, nach Pirna, versetzt fühlte, wo, wie ich aus den Nachrichten voller Schrecken vernehmen musste, schon wieder Hochwasser war.
Aber zurück nach Ufa. Der Frühling kam und mit ihm der Dreck. Und wie viele mir prophezeiht hatten; der Frühling in Russland ist schmutzig. Zumindest am Anfang. Aber nicht nur schmutzig im Sinne von rumliegendem Müll, sondern viel mehr auch durch Schlamm. Wo kein Wasser war, war Schlamm, so daß ein kleiner Spaziergang zu einer Herausforderung in der Art eines Hindernislaufes wurde. Hosen konnte man nicht länger als einen Tag anziehen (wenn überhaupt so lange). Zumindest uns ging es so. Ich weiss nicht, wie die Russen das hinbekommen, aber wenn man sich ihre Hosen und Schuhe anschaut, so sind diese stets sauber. Das war für mich unverständlich.
Aber all die Unannehmlichkeiten nimmt man doch voller Euphorie und Frühlingsgefühle gern in Kauf. Jeden Tag hielt ich Ausschau nach Knospen, grünem Grass oder Blümchen, ich suchte regelrecht danach. Und dann eines Tages entdeckte ich, in einem etwas weiter entferntem Gebiet, Huflattich. Was war ich glücklich, endlich erwachte die Natur! Wir waren an diesem Tag am Fluss Bjelaja spazieren und betrachteten beeindruckt die imposanten Eisschollen, die sich gegenseitig zu zerstören schienen. Von diesem Tag an ging es sehr schnell mit dem Frühling. Der Schnee ist inzwischen vollständig weggetaut, und ich habe Sommerjacke und Turnschuhe an. 😉
Ich habe Weidenkätzchen und Narzissen entdeckt, die Wiesen sind grün, die Bäume haben Knospen, aus denen sich Blätter hervorzukämpfen versuchen, und das Quecksilber klettert schon auf 17° C. Nichts stört jetzt mehr beim Spaziergang durch das erwachte Ufa.
In den letzten Wochen wurde hier in Grosseinsätzen die gesamte Stadt gereinigt. Die sogenannten Subbotniks (von russisch: subbota = Sonnabend), die ehemaligen DDR Bürgern sicher ein Begriff sind, sind unbezahlte, freiwillige Arbeitseinsätze, die normalerweise an Sonnabenden stattfinden. Hier sah ich aber beinahe jeden Tag vor allem Schüler und Studenten, die aufräumten, kehrten, zukünftige Grünflächen umgruben und Mauern bzw. Bordsteinkanten strichen.
Im Jahre 1919 beschlossen die Kommunisten und ihre Anhänger bei der Moskau – Kasaner – Eisenbahngesellschaft solche Subbotniks zur schnellstmöglichen Wiederherstellung der Wirtschaft durchzuführen. Daraufhin verwendete Lenin das Wort “Subbotnik“ in dem Artikel: “Die grosse Initiative“ im Juni 1919 mit dem Untertitel “Über das Heldentum der Arbeiter im Hinterland“ anlässlich der “kommunistischen Subbotniks“‘. Während in Deutschland seit spätestens Mitte der 1980er Jahre diese Veranstaltungen nicht mehr stattfinden, so sind sie hier in Russland doch noch sehr aktuell und vor allem effektiv, denn die Stadt sieht momentan aus wie geleckt.
Der Frühling ist da. Und nach so einem langen Winter erlebt man ihn wesentlich intensiver, und jeder, der die Chance dazu hat, begibt sich nach draussen in einen Hinterhof, die Stadt oder in Parks und geniesst in vollen Zügen.
Katrin Hennig, 21.04.06