Tatarstan und Baschkortostan sind die beiden letzten Republiken der Russischen Föderation, deren Oberhäupter noch als “Präsident” bezeichnet werden. Laut eines 2010 verabschiedeten Gesetzes muss sich das bis zum 1. Januar 2015 ändern. Im November 2013 hat das Verfassungsgericht Baschkortostans ein dementsprechendes Projekt in das Parlament der Republik eingebracht. Während sich die Mehrheit der Bevölkerung eher ruhig demgegenüber verhält, regt sich Protest dagegen in erster Linie in den Reihen einiger baschkirischer Gruppen und Organisationen.
Von den insgesamt 83 Föderationssubjekten Russlands sind 21 Republiken, ein Status, der einhergeht mit gewissenen Autonomierechten und der vor allem dem, zumindest formal existierendem, Selbstbestimmungsrecht der verschiedenen auf dem Gebiet Russlands beheimateten ethnischen Gruppen Rechnung trägt. Die Republiken gelten als quasi-staatliche territoriale Einheiten der entsprechenden Titularethnien – also etwa der Baschkiren in Baschkortostan, der Tataren in Tatarstan usw. Zu den Sonderrechten der Republiken gehören unter anderem das Recht auf eine eigene Verfassung und die Pflege einer weiteren Staatsprache neben dem Russischen.
Seit der Umformierung der zuvor zumeist bereits als Autonome Sozialistische Sowjetrepubliken bestehenden Gebiete in die heutigen Republiken der Russischen Föderation Anfang der 1990er Jahre trugen die politischen Oberhäupter mehr als der Hälfte dieser Regionen den Titel Präsident. Bereits 2005 wurde in der Republik Kalmückien diese Bezeichnung ersetzt durch den Titel glava, was im Grunde auch einfach mit Oberhaupt übersetzt werden kann. Den Stein ins Rollen brachte allerdings erst 2010 ein Vorstoß Ramsan Kadyrovs, Oberhaupt der Republik Tschetschenien, bei dem er erklärte, dass “in Russland nur eine Person das Recht besitzt als Präsident bezeichnet zu werden”. Kadyrov bat das Parlament dementsprechend seinen Titel in glava zu ändern und betonte, man müsse die “Parade regionaler Präsidenten” im Lande einstellen. Unterstützung erhielt er dabei umgehend von den Oberhäuptern der anderen nordkaukasischen Republiken, die sich in einer gemeinsamen Erklärung an die Staatsduma gewandt und darum gebeten haben, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden, was im Dezember desselben Jahres auch geschah. Den Republiken wurde darin bis zum 1. Januar 2015 Zeit eingeräumt, sich eine neue Bezeichnung zuzulegen. Obwohl es in dem Gesetz auch heißt, dass bei der Umbenennung auf “historische, nationale und andere Traditionen des jeweiligen Subjekts der Russischen Föderation” Rücksicht genommen werden kann, wurde bisher ausschließlich der Titel glava verwendet.
Anfang November 2013 hat das Verfassungsgericht Baschkortostans einen Gesetzesentwurf in das Parlament eingebracht, wonach das Oberhaupt der Republik zukünftig ebenfalls diesen Titel tragen soll. Um das Gesetz zur Abstimmung zu bringen waren 50.000 Unterschriften nötig, insgesamt kamen nach nur kurzer Zeit mehr als 70.000 zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint dem Vorhaben wenig Bedeutung beizumessen. In den Diskussionsforen zu diesem Thema wird – sowohl von russischen als auch von baschkirischen TeilnehmerInnen – dementsprechend immer wieder die Meinung geäußert, Baschkortostan hätte “wichtigere Probleme als die Benennung seines Oberhauptes”. Der baschkirische Präsident Rustem Chamitov selbst hatte bereits im Vorfeld zum Ausdruck gebracht, dass er in der Umbennung keinerlei Sensation sehe und das davon auch keine Gefahr für den Status Baschkortostans als Republik ausgehe.
Anders sehen das die Vertreter einiger baschkirischer kultureller und politischer Organisationen. Nach Meinung des “Weltweiten Kurultai der Baschkiren” (vsemirnyj kurultaj baschkir), einer Organisation, die sich der “Entwicklung, Konsolidierung und Erneuerung der baschkirischen Kultur und des baschkirischen Volkes” verschrieben hat, wurde bereits das Gesetz 2010 unter “erdachten Vorwänden” verabschiedet. Das Verbot zur Verwendung des Begriffes “Präsident” besitzt aus Sicht des Kurultai einen “rein politischen Hintergrund” und ziele letztendlich auf die “Liquidierung offizieller Merkmale von Staatlichkeit der nationalen Republiken” und der “Unterordnung ihres politischen Statuses”. Dennoch erkenne man, wenn auch ausdrücklich “gezwungenermaßen”, die gegebenen politischen Realitäten an, lehnt allerdings den Vorschlag zur Umbennung des Titels in glava ab, da er nicht die “historischen und national-sprachlichen Traditionen des baschkirischen Volkes berücksichtige”. Als alternative Variante plädiert man stattdessen für den Begriff chakim, eine aus dem Arabischen stammende, noch heute im turksprachigen Raum verbreitete und laut dem Kurultai in “vergangenen Zeiten” auch von den Baschkiren verwendete Bezeichnung für ein politisches Oberhaupt.
Kategorisch abgelehnt wird jegliche Umbenennung hingegen vom “Baschkirischem Volkszentrum Ural” (Baschkirskij narodny zentr Ural), die darin eine Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Baschkiren und eine Schwächung der Regionen zugunsten des Moskauer Zentrums sehen. Ähnlich argumentiert auch die Bewegung “Kuk Bure” (himmlischer Wolf), die relativ aktiv in Erscheinung tritt, sich vor allem aus jungen Baschkiren zusammensetzt und sich als unabhängiger Kämpfer für die Rechte des baschkirischen Volkes versteht. Am 24. November 2013 hatten sie zu einer Demonstration gegen die Umbennung aufgerufen, zu der sich letztendlich allerdings nicht mehr als etwa 100 TeilnehmerInnen eingefunden haben. Kuk Bure treten offen nationalistisch auf und fordern den Erhalt einer “souveränen Staatlichkeit Baschkortostans”, allerdings, wie sie ausdrücklich hervoheben, “innerhalb der Russischen Föderation”, so wie es bei der Unterzeichnung des Föderationsvertrages 1992 auch ausgehandelt wurde. Aus ihrer Sicht verstößt das Gesetz zur Umbennung gegen die Verfassung der Russischen Föderation und stellt einen Verstoß gegen das Prinzip des Föderalismus dar. Das Einverständnis Chamitovs rühre ihrer Meinung nach daher, dass er alles tun würde, um sich auch weiterhin an der Macht zu halten. Abgelehnt wird von Kuk Bure zudem die Bezeichnung chakim, mit der die “Erniedrigung des politischen Statuses” lediglich verdeckt werden soll. Der Begriff besitze zudem, anders als vom “Weltweiten Kurultai der Baschkiren” behauptet, keinerlei baschkirische Tradition. Er existiere zwar in anderen turksprachigen Staaten wie Usbekistan und Kirgistan, allerdings als Stellung eines Gouverneurs unterhalb des Präsidenten. Aus Sicht der Bewegung ist somit nur die Beibehaltung der alten Bezeichnung akzeptabel.
Das es allerdings nichtsdestotrotz zur Umbenennung kommen wird ist nur noch eine Frage der Zeit, das Parlament hat dem Vorhaben mittlerweile zugestimmt und dabei festgelegt, dass in den baschkirischsprachigen Fassungen offizieller Dokumente auch eine baschkirischsprachige Variante für glava benutzt werden soll. Wie diese allerdings jedoch lauten wird ist noch unklar und weiterhin umstritten. Neben der Bezeichnung chakim gibt es noch weitere Vorschläge. In Tatarstan übrigens wird der Prozess zur Umbenennung bisher nicht besonders energisch betrieben. Der Präsident Rustem Minnichanov möchte laut eigener Aussage diese Bezeichnung, die ihm selbst “sehr gefalle”, nur gegen eine andere “geniale Variante” eintauschen – die habe man bisher allerdings noch nicht finden können.
Matthias Kaufmann, Dezember 2013