Vom 24. bis 31. März haben sich in Perm StudentInnen aus Russland und Deutschland zusammengefunden, um Erfahrungen über ökologische Initiativen und Umweltbewegungen in beiden Ländern auszutauschen und eine gemeinsame Plattform zur Planung eigener Projekte zu schaffen. Was etwas schwierig begann, formte sich zu einer interessanten Erfahrung für alle Beteiligten.
Montagmorgen. Ein Seminarraum an der Universität in Perm. Langsam, nach und nach treffen die ersten TeilnehmerInnen ein, verteilen sich und ihre Sachen auf den Holzbänken. Einzelne Gespräche kommen in Gang. Ein erstes Kennenlernen. Währenddessen füllt sich der Raum immer mehr. Am Ende sind es knapp 30 Personen, eine tatsächlich nicht unbeachtliche Zahl. Etwa die Hälfte stammt jeweils aus Russland und Deutschland, mit sehr unterschiedlichen Hintergründen.
„Ich interessiere mich seit einiger Zeit für die osteuropäischen und zentralasiatischen Kulturräume“, erklärt etwa Gabriel, Student der Umweltwissenschaften aus Lüneburg, „und da das Austauschprojekt auch noch aus meinem Studienbereich kam, war das für mich der perfekte Rahmen neue Lebenswelten kennenzulernen.“ Mascha aus Jekaterinburg, die selbst Deutsch und Englisch studiert, bekennt: „Mein eigenes ökologisches Bewusstsein ist eigentlich erst vor kurzem erwacht, als ich über die Situation zur Mülltrennung und Müllverarbeitung in meiner Heimatstadt einige Nachforschungen angestellt habe.“ Dabei hat sie für sich mit Schrecken feststellen müssen, dass laut Ergebnissen aus dem Jahr 2010 Jekaterinburg – zusammen mit Perm und Tscheljabinsk – das Schlusslicht bildet, was die ökologische Situation in den russischen Regionen betrifft. „Ich hoffe jetzt durch meine Teilnahme hier viele nützliche Informationen und Impulse sowohl von russischer, als auch von deutscher Seite zu erhalten, um vielleicht in Zukunft selbst mehr einbringen zu können.“
Organisiert wurde das Treffen in Perm auf Initiative von Zoia Kashafutdinova, die erst vor einigen Wochen in ihre Heimatstadt zurückgekehrt ist. Zuvor hatte sie als Teilnehmerin des Stipendienprogramms der Marion-Dönhoff-Stiftung selbst einen sechsmonatigen Freiwilligendienst bei der Umweltschutzorganisation BUNDjugend Berlin absolviert, die von deutscher Seite aus auch Partner für den Austausch wurde. „Wir haben gleich zu Beginn meines Aufenthaltes überlegt, was für ein Projekt für beide Seiten interessant sein könnte“, berichtet Zoia. „Mir war es einerseits wichtig, nach meiner Rückkehr jene Erfahrungen, die ich in Berlin gemacht habe zu teilen, vor allem im Hinblick auf die verschiedenen ökologischen Bürgerinitiativen. Aber es ist eine Sache“, so Zoia weiter, „selbst davon zu berichten, oder 14 Leute nach Perm zu holen, die ihrerseits neuen Input geben könnten. Und natürlich wollte ich andererseits auch zeigen, was in Perm in dieser Hinsicht geschieht.“ Damit war die Idee für den Austausch schnell gefunden.
Auf russischer Seite konnte die Stiftung Obwinskaja Rosa als Unterstützer für das Projekt gewonnen werden, für die vor allem die Erhaltung und Pflege von Naturschutzgebieten im Stadtgebiet Perm an vorderster Stelle ihrer Tätigkeiten steht. „Für uns stellt dieser Austausch eine großartige Möglichkeit dar“, erklärt Elena Pleschkowa, Präsidentin der Stiftung, „nicht nur den deutschen, sondern auch den russischen Beteiligten jene Permer Initiativen zu zeigen, von denen sie vielleicht gehört, die sie selbst aber noch nicht gesehen haben. Außerdem ermöglicht es uns allen wichtige Erfahrungen der Zusammenarbeit und des Kennenlernens einer anderen Projektkultur zu sammeln“.
Noch am ersten Tag, im Seminarraum der Universität, wurden erste Interessen zusammengetragen, aus denen heraus sich schließlich kleinere Arbeitsgruppen bildeten. Urban gardening, nachhaltige Ernährung und Müllbeseitigung, das waren die drei thematischen Komplexe, auf die sich die TeilnehmerInnen geeinigt haben.
Es stellte sich allerdings bald das grundlegende Problem ein, dass die Vorstellungen davon, was genau im Laufe der nächsten Woche innerhalb der einzelnen Arbeitsgruppen passieren wird bzw. welche Ergebnisse insgesamt erzielt werden sollen, zunächst noch sehr vage waren, und zwar auch von Seiten der Organisatoren. Dieser Umstand sollte in den ersten Tagen für einige Irritation unter den TeilnehmerInnen sorgen. Hinzu kamen zudem anfänglich einige Kommunikationsschwierigkeiten, die in einem Sprachgewirr aus Russisch-Englisch-Deutsch die entstandene Grundsatzdiskussion darüber, was gemacht werden kann und was nicht, gebremst und einige Informationen einfach haben untergehen lassen.
Es war allerdings spannend zu beobachten, wie diese Startkomplikationen durch die gemeinsamen Bemühungen Aller überwunden worden sind, da jeder Einzelne, und das wurde im Prinzip vom ersten Tag an deutlich, mehr als nur gewillt war, die gemeinsame Zeit produktiv zu gestalten. „Neben dem ‘äußeren’ Projekt“, wie Elena Pleschkova im Nachhinein feststellen sollte, „gab es noch ein sehr wichtiges ‘inneres’ Projekt: das gegenseitige Verstehen und die Fähigkeit, einander zuzuhören“. Zu Recht kann dies wohl als eine der wertvollsten Erfahrungen des Austauschs betrachtet werden.
Über die gemeinsame Projektarbeit hinaus stand dann vor allem ein erstes Kennenlernen der ökologischen Situation Perms im Mittelpunkt. „Einerseits“, umschreibt Zoia ihr Konzept, „wollte ich den deutschen und russischen TeilnehmerInnen des Austauschs den ‘klassischen’ Ökologen zeigen, vor allem in Gestalt des Lehrstuhls für Biogeozönologie und Umweltschutz.“ Hierzu gehörten dann auch Vorträge von Dozenten der Fakultät und eine Besichtigung des botanischen Gartens der Permer Universität.
„Andererseits“, so Zoia weiter, „beobachte ich in Perm in den letzten Jahren eine rege Entwicklung neuer und sehr unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Initiativen.“ Auf dem Programm stand so etwa der Besuch des Umweltzentrums „Nanuk“, deren Mitglieder unter anderem ökologische Bildungsmaßnahmen für Kinder und Erwachsene durchführen. Besucht wurde auch der sogenannte „Nachtigallengarten“ (Sad Solov’ev) im Tal des Baches Uinka. 2007 haben Anwohner des umliegenden Wohngebietes damit begonnen, das Gebiet vom Müll zu befreien und einen ökologischen Pfad anzulegen. Unter Missachtung föderaler Gesetzgebung – das Tal besitzt den Status eines Wasserschutzgebiets und wäre somit eigentlich föderales Eigentum – wurde ein Teil des Areals an eine Privatperson übergeben, die nun den Bau von Wohnhäusern für ca. 6000 Personen auf diesem Gelände vorsieht. Die TeilnehmerInnen des Austauschs konnten einer öffentlichen Anhörung beiwohnen, auf der die meisten der Anwesenden sich gegen die Bebauung aussprachen. Eine endgültige Entscheidung steht bislang aber noch aus.
Eine ähnliche Situation findet sich im Tschernjajevskij Les, einer ca. 690ha großen Waldfläche auf dem Stadtgebiet. Das als Naherholungsgebiet bei der Permer Bevölkerung beliebte Areal zählte bisher zu den besonders geschützten natürlichen Territorien. Diesen Status droht es nun zu verlieren, da die Stadtverwaltung auf dem Gelände den Bau eines neuen Zoos plant. Eine Allianz verschiedener Umweltschutzgruppen versucht das zu verhindern und den Wald in seinem jetzigen Zustand zu erhalten. Am 29. März kam es im Rahmen der weltweit durchgeführten Earth Hour deshalb genau hier zu einer gemeinsamen Aktion, an der sich auch die TeilnehmerInnen des Austauschs mit einem kleinen Konzert auf Instrumenten aus Müll beteiligt haben. (Ein Video dazu, auf Russisch, gibt es HIER zu sehen).
Insgesamt konnte dank des dichten Programms letztendlich ein breiter erster Einblick gewonnen werden: „Ich habe mir erwartet zu erfahren wie die Menschen vor Ort leben und wie sie umweltbezogene Probleme sehen oder welche Probleme es in dieser Region überhaupt gibt. Diese Erwartungen wurden erfüllt“, fasst Gabriel seine Eindrücke zusammen. Andererseits blieb allerdings wenig Zeit für die eigentliche Arbeit in den Projektgruppen. Erste Ideen konnten aber dennoch entwickelt werden. So ist etwa die Gestaltung eines deutsch-russischen Kochbuchs für nachhaltige Ernährung geplant, sowie eine Infobroschüre zu Formen des Urban gardenings vor allem für russische Leser, da diese Art der Stadtraumnutzung in Russland weitestgehend unbekannt ist. „Jetzt ist es vor allem wichtig, dass wir die entstandenen Kontakte aufrecht erhalten und versuchen, diese Ideen im Online-Verfahren zu realisieren“, erklärt Elena Pleschkova. Inwieweit das funktioniert, wird sich zeigen müssen. Der Gegenaustausch in Berlin 2015, bei dem die Ergebnisse dann vorliegen sollen, ist aber zumindest bereits in Planung.
(Mehr Informationen zum Austausch:
https://www.facebook.com/green.city.ecoactivism.for.change?fref=ts)
Matthias Kaufmann, April 2014