Schon an unserem ersten Tag in Russland sollte sich ein erster Unterschied deutscher und russischer Sichtweise in einer ganz alltäglichen Situation zeigen: beim Taxifahren.
Das Büro des deutsch-russischen Austausches in St. Petersburg – unserer erste Anlaufstelle in Russland – stellte uns einen Praktikanten zur Seite, der unsere Zieladresse hatte und uns vermutlich auch bei der Verständigung und anderen Schwierigkeiten helfen sollte. Wir waren froh, unsere Koffer nicht noch einmal durch die Metro schleppen zu müssen und stiegen nach ca. anderthalb Stunden Warten erleichtert und müde ins Taxi.
Die Fahrt durchs nächtliche St. Petersburg war in Anbetracht unserer körperlichen Verfassung recht angenehm, nur erschien es mir seltsam, dass ich immer wieder denselben Funkturm aus ungefähr gleicher Entfernung sah. Auch die Kurven, das ständige Abbiegen und das häufige Wenden verwunderten mich. Kurzum ich hatte den Eindruck, wir würden im Kreis fahren. Ein Blick auf das Navigationssystem verstärkte dieses Gefühl, dort war nämlich das Fähnchen, welches unser Ziel markierte, zu sehen. Nur schien der Taxifahrer es eher zu umfahren als anzupeilen, denn immer wenn wir uns ihm näherten, bog der Taxifahrer auf schnurgerader Strecke plötzlich ab oder fuhr rechts, wenn das GPS links zeigte.
Aus meiner deutschen Sicht erschien es, als würde der Taxifahrer etliche Umwege fahren um mehr Geld herauszuschlagen. Im Gespräch mit dem russischen Praktikanten, der uns begleitete, stellte sich jedoch heraus, dass er der Überzeugung war, der Taxifahrer sei freundlich und hilfsbereit gewesen; die lange Fahrt ergab sich daraus, dass um 18.00 Uhr Stauzeit sei und was uns als Umweg erschien, seien nur Umfahrungen der Staus gewesen. Ohne den cleveren Taxifahrer und sein GPS wären wir aufgeschmissen gewesen. Diese Meinung vertraten auch andere Russen.
In Anbetracht der Tatsache, dass in Russland der Fahrpreis vor der Fahrt ausgemacht wird und da wir ebenso überzeugt von unsere Sicht waren wie die russische Seite von ihrer, wäre es interessant zu wissen, was der Taxifahrer wirklich beabsichtigt hat, ob er tatsächlich den günstigsten Weg gefahren ist und ob in diesem Zusammenhang unsere Skepsis nur zeigte, dass wir Vorurteile haben. Andererseits wäre man auch in Deutschland den Taxifahrern gegenüber misstrauisch. Oder sind die Russen gutgläubig?
Ulrike Geier, März 2008