Zur Zeit wundert sich niemand, wenn man sagt, dass die Amerikaner eine völlig egozentrische Nation sind. Sie denken über das Leben außerhalb der USA nur dann nach, wenn es ihr eigenes betrifft. Da gäbe es die Araber, die seien schlecht, die Engländer, die irgendeine komische Variante des Amerikanischen benutzten und dabei Verbündete seien. Und da gäbe es auch noch Russland…
Die Europäer (wir beide meinen damit, wegen unserer heutigen geografischen Lage, die Deutschen) sind viel weniger egozentrisch. Wohlgemerkt: Wir sprechen von den „deutschen Deutschen“, von den Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ohne die Umsiedler aus der ehemaligen Sowjetunion.
Also, Deutsche haben zwar Kenntnisse über Russland. Leider sind die etwas… einseitig. Das Gespräch mit einem Deutschen über Russland entwickelt sich nach folgendem Muster: Zuerst kommt die Frage über das Leben im fernen Land, danach über die Macht (eine Variante dazu ist die Frage nach der Meinung der Bevölkerung und meiner selbst zu Putin). Die dritte bzw. fünfte Minute des Gesprächs bringt das Thema „Chodorkowski“ mit sich. Für einen Deutschen, der sich für Politik interessiert (und viele tun das auch, aber eher für die Darstellung der Politik der „Bild“-Zeitschrift), ist Chodorkowski ein Märtyrer des Regimes – Symbol für fehlende Demokratie in Russland.
Nach Chodorkowski kommt auf jeden Fall der Tschetschenien-Krieg. Die Tatsache, dass es zwei Kriege gab, war eine Neuigkeit für Viele, mit denen ich gesprochen habe. Eine weitere Neuigkeit war, dass die Tschetschenen keine heldenhaften Aufständischen sind, die für ihre Freiheit kämpfen. Macht es überhaupt einen Sinn zu sagen, dass die Begriffe „die Chasawjurter Abkommen“ und „der Angriff auf Dagestan“ keinem meiner Gesprächspartner bekannt waren?
Danach wird die Diskussion über die Macht fortgesetzt. Meine Meinung, dass die „Regierung von Putin eine positive Rolle für Russland spielt“, ruft in der Regel starken Widerstand hervor. Die grundlegenden Argumente, die verwendet werden, sind „Antidemokratie“, „Polizeiregime und Macht der Geheimdienste“, „Wachstum des Wohlstandes ausschließlich durch hohe Erdölpreise“ und ähnliches.
Sehr Wenige machten sich Gedanken und konnten die Tatsache verstehen, dass alle Informationen, die sie sich aus Zeitungen und Fernsehen holen, unvollständig, zufällig oder absichtlich entstellt, einfach falsch sein können. Wirklich ganz Wenige denken darüber nach, wie die Politik eines TV-Senders, die Politik des Staates, sogar die Meinung eines einzigen Journalisten die Art und Weise des Berichtens beeinflussen. Für den durchschnittlichen Europäer bleibt die Meinungsfreiheit eine heilige Kuh. Sie wohne unbedingt allem inne, alle Nachrichten seien unparteiisch, und man verfolge keine anderen Ziele, außer, die Ereignisse auf der Welt zu beschreiben. So haben wir diesen komischen und gefährlichen Idealismus.
Von daher beharrt man auf der Politik der Einmischung in alle Dinge, die man beeinflussen kann. Das russische Sprichwort „Man kommt nicht in ein fremdes Kloster mit eigenen Regeln.“ gilt hier nicht. Ohne korrigierende Gegeninformationen erhalten zu können, hängt die Mehrheit der Europäer an dem Gedanken, in der besten aller möglichen Welten zu wohnen und aus ihren Kräften allen Anderen das Licht bringen zu müssen… Das passiert mit guter Absicht! Leider kann der Durchschnittseuropäer durch die einschlägigen Nachrichtenagenturen z.B. nie erfahren, dass im „befreiten“ Kosovo die albanische Regierung die Klanbindungen (Vetternwirtschaft) wieder belebt hat, d.h. seinen Platz in der Gesellschaft, seine Arbeitsstelle und seinen sozialen Status bekommt man nicht auf Grund seiner Leistungen, sondern ausschließlich durch seine Verwandtschafts- und Klanbeziehungen. Das haben sogar die OSZE-Beobachter bemerkt, aber wie soll man das erfahren…
Dabei ist es wirklich interessant, dass die USA und die Amerikaner in Europa im Großen und Ganzen nicht beliebt sind. T-Shirts, Graffiti an Häuserwänden, Plakate, Slogans (alles bleibt nur „antiamerikanischer Import“), aber die Denkweise ist durch die westliche, insbesondere die amerikanische Kultur geprägt. Und die Mentalität eines durchschnittlichen – ich will hervorheben, eines DURCHSCHNITTLICHEN – Europäers ist eher amerikanisch, als eigenständig. Das ist weder gut, noch schlecht, es ist eine Tatsache – die gesetzmäßige Frucht der Globalisierung. Es ist eine Gegebenheit, und so muss sie auch verstanden werden. Man muss nur zwischen Politik auf der einen Seite und Denkweise, Kultur und Lebensweise auf der anderen unterscheiden.
Ich hoffe, dass alle die einfache Wahrheit verstanden haben: Wir alle sind sehr unterschiedlich. Und da möchte ich auch diejenigen Europäer mit einschließen, die vollkommen aufrichtig versuchen, die Welt zu verbessern. Das Problem liegt darin, dass die Mehrheit von ihnen z.B. nichts von Russland kennt, außer allgemeinen Vorstellungen, welche aus Zeitung, Film, Fernsehen und den Nachrichten stammen. Bevor man irgendwelche Ratschläge gibt, sich einmischt, sollte man den Gegenstand wenigstens gut kennen.
Das gilt auch für Meinesgleichen, von denen viele überzeugt sind, dass im Ausland das Paradies herrscht. Das gilt auch für den anderen Teil meiner Landsleute, für die Hurra-Patrioten, die mit „Mützen bewaffnet“ sind (Anm.d.Red.: beruht auf der scherzhaften Vorstellung, dass man auf Grund der größeren Einwohnerzahl Russlands den Feind besiegen könne, indem man ihn mit Mützen bewirft.). Aber hier in Europa gibt es weder das Paradies, noch die Hölle. Hier ist auch nur das ganz normale Leben, ein einfaches Leben mit Vor- und Nachteilen. Ich persönlich will hier nicht leben, aber ich bedauere auch nicht, dass ich hierher gekommen bin.
Da gelange ich zu altbekannten Weißheiten – das ist das Zeichen, dass es Zeit ist, den Artikel zu beenden. Liebt und verehrt einander, dann bekommt ihr auch euer Glück :o)))
D. Mukhametkulov, A. Vasiliev, 02.10.06