Russen mögen Technik, schweres Gerät, zur Überwindung der natürlichen Grenzen des Menschen, Ausdruck seiner Schaffenskraft. Und mutige Männer. Es gibt ein paar Dinge die diese beiden Vorlieben vereinen, der Krieg zum Beispiel, oder die Raumfahrt, oder – ein bisschen einfacher und ungefährlicher – Flugshows.
In Ufa fand vom 26. – 28. Juni zum 12ten Mal das jährliche „Treffen der Luftfahrt-Enthusiasten“ statt. Der eindeutige Höhepunkt war die Flugshow „Virtuosen-Himmel“ am Samstag auf dem Flugfeld „Pervushino“, etwa 40 km vor den Toren der Stadt.
Ab Ortsausgang weisen am Straßenrand in regelmäßigen Abständen Schilder mit der Aufschrift „авиа шоу“ (Avia-Show) den Weg. Irgendwann kann man dann in der Ferne am Himmel schon die Flieger sehen und sich an ihnen orientieren.
Im Auto frage ich noch, ob da wohl viele Menschen hingehen würden, zu so einer Flugshow. Als wir uns gegen zwei unserem Ziel nähern, bekomme ich eine eindeutige Antwort auf meine Frage.
Der Stau beginnt bereits auf der Landstraße, kurz vor der Abzweigung zum Flugfeld. Um dem aus dem Weg zu gehen, fahren die Leute kurzerhand die Böschung runter, parken ihre Autos auf freiem Feld und setzen den weiteren Weg zu Fuß zurück. Wir folgen dem Beispiel. Zu Fuß geht es vorbei an endlosen Reihen von abgestellten Autos. Immer wieder bleiben wir stehen und starren in den Himmel, wo die Maschinen, ganz nah, ihre synchronen Manöver aufführen oder einfach herumtollen, Loopings drehen, trudelnd in den Sturzflug fallen, geschickt und wendig wie Raubvögel.
Aber erst als wir am Flugfeld, bestehend aus einem grauen Betongebäude, einem kleinen betonierten Hubschrauberlandeplatz und viel grüner Wiese, ankommen, wird das ganze Ausmaß des Ereignisses deutlich sichtbar.
Die Wiese ist durch einen hüfthohen Veranstaltungszaun in zwei Hälften getrennt, der von Ordnungspersonal in schwarzen Uniformen bewacht wird.
Auf der einen Seite stehen die verschiedenartigsten Flugmaschinen in Reih und Glied, Doppeldecker und Propellermaschinen, Segelflugzeuge und Hubschrauber, dazwischen beschäftigt aussehende Menschen.
Auf der anderen Seite herrscht das pure Chaos, eine Unmenge von Buden und Ständen zwischen denen sich eine Unmenge von Menschen tummelt. In der erbarmungslosen Mittagssonne bei einer Temperatur von dreißig Grad im Schatten, sind hier alle zusammen gekommen, um die tollkühnen Flieger zu sehen – und zu fotografieren, junge Ehepaare mit Kleinkindern, Großfamilien, alte Männer mit Sonnenhüten, junge und auch nicht mehr so junge Männer, die sich in der Hitze ihrer Oberteile entledigt haben, Frauen aller Altersgruppen auf erschreckend hohen Schuhen und die vornehme Dame mit dem großen Sonnenschirm, da in der Schlange zur öffentlichen Toilette.
Es riecht nach dem süßlichen Rauch von gut bestückten Grills als wir weitergehen, vorbei an Eismännern, einer Hüpfburg, Bierständen, Plastikdinos, Sonnenbrillentürmchen, einem Pappaufsteller in Form eines Flugzeuges mit Löchern zum fotografieren, ausgebreiteten Picknikdecken, Klappstühlen, einer kleinen Quad-Bike Strecke, einer Bühne mit zwei Moderatoren, Hubschraubern zum Anfassen, sexy Stewardessen, mit denen man Fotos machen kann und Typen in Roter-Armee Uniform, mit denen man Fotos machen kann, die aber alle zusammen erstmal ein Foto machen. Alles Event, oder was?
Was nicht fotografiert worden ist, ist nicht passiert! Das galt selten mehr als hier.
Mal abgesehen davon, dass hier Werbekulis als Lose eines Gewinnspiels für 50 Rubel das Stück verkauft werden (usw.), ist die Show, die auf der anderen Seite des Zauns stattfindet, wirklich beeindruckend. Immer wieder rauschen Flieger im Sturzflug heran, knapp über die Köpfe der Zuschauer, getreu dem Spruch mit dem die Veranstalter im Internet warben: „Die beste Show, hebe ab vom Boden und habe das Gefühl zu fliegen.“
Als die Wiederholungen anfangen zu langweilen und die Augen der Zuschauer nicht mehr bei jedem Manöver gebannt in den Himmel starren, gibt es Abwechslung. Erst springen 6 wagemutige Fallschirmspringer mit Signalfackeln aus einem Helikopter und landen direkt vor den Zuschauern, dann folgt der Höhepunkt der Show.
Es ist Reenactment-Zeit.
Ein wenig Patriotismus darf bei solch einer Veranstaltung in Russland nicht fehlen, also wird kurzerhand der Abschuss eines deutschen Jagdfliegers inszeniert. Der geht zuerst in die Luft, klar erkennbar am schwarzen Balkenkreuz der Wehrmacht. Kurz darauf startet ein sowjetischer, roter Flieger, während sich unten auf dem Flugfeld 4 Soldaten in Stellung bringen, die das Feuer auf den Deutschen eröffnen. Platzpatronen knallen. Der rote verfolgt den blauen. Dann ertönen Stimmen vom Band, die Funksprüche nachstellen sollen. Immer wieder wiederholt eine verrauschte deutsche Stimme mit sächsischem Akzent die Wörter: „Sie greifen an. Hundert Meter rechts!“, irgendwann hört man dann eine russische Stimme sagen: „Attakuju“ („Ich greife an“), woraufhin Maschinengewehrfeuer erschallt und es gleichzeitig anfängt am Heck des Deutschen Fliegers zu rauchen. Jubel vom Band und live im Publikum. Gewonnen!
Die Moderatoren reißen ein paar patriotische Witze, dann fangen die Kunstflieger wieder an ihre Runden zu drehen.
Wir nehmen das zum Anlass uns auf den Weg zu machen zum See, wo wir den Abend verbringen und ein erfrischendes Bad nehmen wollen.
Als wir den Flugplatz schon verlassen haben, zaubert direkt über uns ein besonders waghalsiger Flieger mit ein paar Schrauben und seinem Kondensstreifen noch einmal ein wildes Bild in den Himmel. Irgendwie romantisch.