Und weiter gehts mit unserer Erkundung der Umgebung Ufas. Heute möchte ich über Jekaterinburg, die mit 1.287.007 Einwohnern (Stand: 2004) viertgrösste Stadt Russlands, berichten. Zu Ehren von Jakow Michailowitsch Swerdlow trug die 15 Zugstunden und 450 Rubel von Ufa entfernte Stadt von 1924 bis 1991 den Namen „Swerdlowsk“. Was unter Umständen bei Unwissenden beim Fahrkartenkauf zu Problemen führen kann, denn auf den Fahrkarten steht als Endhaltestelle statt Jekaterinburg Swerdlowsk. Damit wir diesmal ohne Probleme an unser Ziel und wieder zurück gelangen, liessen wir uns die Fahrkarten von russischen Freunden kaufen. Aber, wie sollte es anders sein, bei dem Glück welches ich hier beim Zugfahren habe, gab es natürlich trotzdem welche. Auf die Fahrkarten werden hier beim Kauf immer die Passnummern aufgedruckt. Das ist natürlich überhaupt nicht zur Kontrolle des Aufenthaltsortes und Überwachung der Menschen gedacht, sondern vielmehr eine vorbeugende Massnahme gegen Fahrkartendiebstahl. 😉 Auf alle Fälle hatte sich auf meiner Hin- und Rückfahrkarte ein Fehler in die Passnummer geschlichen. Auf der Hinfahrt kam ich damit durch, dass ich ja nichts dafür kann und dass den Damen am Schalter einfach ein Fehler unterlaufen ist. Was mir nicht gefiel, verstand ich einfach nicht, und so liessen sie mich mitfahren. Nur meinen Pass musste ich vorerst abgeben und bekam ihn dann erst nach einigen Stunden wieder, was auch ein bisschen gruselig war, da mir keine Erklärung gegeben wurde, wozu ich meinen Pass abgeben musste.
Alles lief aber glatt und so kamen wir in Jekaterinburg, der Heimatstadt des ehemaligen Präsidenten Russlands, Boris Jelzin, an und suchten erst einmal unsere Bleibe für die Nacht auf, um unser Gepäck unterzustellen, bevor wir uns zur Erkundung der Stadt aufmachten. Der nach Moskau zweitwichtigsten Industriemetropole der russischen Föderation, merkt man ihre Grösse absolut nicht an. Geprägt durch ihre historische Vergangenheit verspürt man im Gegenteil ein ganz besonderes Flair, ein Gefühl von Gemütlichkeit und Heimat. Historisch wurde die Stadt, des Swerdlowskaja Oblasts (Oblast = Verwaltungseinheit ähnlich unseren Bundesländern), im 20. Jahrhundert weltweit bekannt durch die Ermordung des letzten russischen Zaren und seiner ganzen Familie durch die Bolschewiki 1918. Die an dieser Stelle errichtete Kathedrale ist heute ein echter Wallfahrtsort für Anhänger des russischen Zarentums. Auch wir besuchten sie, und nicht nur einmal. Die Kathedrale steht auf einem kleinen Hügel inmitten der Stadt, von dem man einen schönen Blick auf den Fluss hat, dessen Wasser durch eine kleine Staustufe geleitet wird. Diese Besonderheit und der Fluss mit seiner Promenade ist ein beliebter Treffpunkt für Touristen und Einheimische. Es ist wunderschön, am Fluss zu sitzen oder entlang zu spazieren und das bunte Treiben zu beobachten. Und das Treiben in Jekaterinburg ist in der Tat bunt. Im Gegensatz zu Ufa sieht man in Jekaterinburg sehr viele verschiedene (Stereo-)Typen von Menschen. Man sah sowohl punkig, alternativ und gothic gekleidete Leute, Leute die nicht wahnsinnig viel auf ihr Aussehen achteten, sowie die, wie in Ufa, überwiegend schick und top gestylten Jugendlichen. Diese Toleranz, die wahrscheinlich doch in der Grösse der Stadt begründet liegt, wurde uns noch bestätigt durch ein Fest, welchem wir einen kurzen Besuch abstatteten. Es war ein von Naturschützern organisiertes und vor allem auf die Jugend ausgerichtetes Event, denn es spielten angesagte russische Rock- und Popbands, während parallel dazu Propagandamaterial verteilt wurde. In Ufa habe ich in meiner Zeit noch kein einziges Fest erlebt, bei dem auch nur annähernd von Naturschutz die Rede war, was ja, zugegeben, in Russland auch ziemlich witzig ist.
Aber auch architektonisch hat die Stadt nicht wenig zu bieten. Zahlreiche Kathedralen im russischen Stil prägen das Stadtbild, wobei die Bekannteste davon, die im 19. Jh. erbaute Swjato-Wosnesenski-Kathedrale ist. Jedoch genauso empfehlenswert ist die ein wenig ausserhalb des Zentrums liegende Heilige-Dreifaltigkeits-Kathedrale, deren Mönch einst Gregori Rasputin war. Auch das im stalinistischen Stil erbaute Rathaus ist ein sehr einprägsames und imposantes Gebäude. Die Universität und mehrere Institute, das Zirkusgebäude aus den 80er Jahren und die prächtige Oper vom Anfang des 20. Jh. sind nur Ausschnitte der architektonisch bedeutenden Vielzahl von Gebäuden. Ein modernes Wahrzeichen der Stadt ist der unvollendete Fernsehturm. Auch das ziemlich ausgeprägte Museumsangebot der Stadt, ein Zoo, mehrere Theater (Oper, Ballett, Komödien), eine Philharmonie, ein ständiger Zirkus und eine Kunstgalerie laden zum Verweilen ein. Wer trotz alldem noch ein wenig Zeit hat, sollte sich auf einen kleinen Ausflug in die Umgebung der Stadt begeben, denn diese wird bestimmt durch die wunderschöne Berglandschaft des Urals.
Bei uns reichte sie leider nicht, und so machten wir uns nach 2 Tagen wieder auf den Rückweg, der sich auch wieder ein wenig problematisch gestaltete. Der Schaffner wollte mich nicht mitfahren lassen. Er würde sich strafbar machen…ich solle meine Fahrkarte umtauschen gehen. Natürlich hätte ich dann den Zug nicht mehr geschafft und ausserdem wurde der Fehler in Ufa gemacht, weshalb ich auch bezweifelte, dass sie mir in Jekaterinburg die Fahrkarte tauschen würden. Ich hatte mich geweigert auszusteigen und nach einer Weile war mir dann klar, was das eigentliche Problem und Anliegen des Schaffners war. Ich liess ihn aber dennoch so lange zappeln, bis er von sich aus damit rausrückte, dass er durch ein paar Rubel die ganze Sache vergessen könnte. So habe ich ihm „sein“ Geld gegeben, er liess uns in Ruhe und brachte uns am nächsten Morgen sogar allen einen Guten-Morgen-Tee. ? Und so kamen wir gut gelaunt wieder in Ufa an und können jetzt nur noch sagen, dass man in Jekaterinburg nicht sehr viel von Industrie spürt, sondern inmitten wunderschöner Natur und einer sehr toleranten Atmosphäre wunderbar in die Geschichte Russlands eintauchen kann.
Katrin Hennig, 20. Juli 2006