Ein Freund aus der Heimat schrieb mir vor ein paar Tagen eine Nachricht: „Ich habe auf Arbeit einen Spaten geklaut – ich werde mal mein Auto wieder ausgraben, ich habe es satt zu Fuß zu gehen…“ und etwas später schrieb dieser Freund noch: „Falls ich überhaupt das Haus verlassen kann – es gab diesen Winter so viel Schnee, dass man die Eingangstür schon nicht mehr aufmachen kann.“ Wir lachten darüber und haben die Sache vergessen – in meiner Heimat am weißen Fluss haben wir fünf Monate lang immer solches Wetter und niemand wundert sich.
Vor einer Woche hatten wir in Halle bis zu 15 Grad und strahlenden Sonnenschein. Alle haben sich schon auf den Frühlingsanfang gefreut – dann kam aber eine für die Deutschen beziehungsweise Europäer eine ihnen unbekannte Katastrophe. Es hat geschneit.
Liebe Leser, ich übertreibe nicht, selbst im trockenen Halle fielen noch mal 20 cm Schnee und das furchtbarste – er blieb liegen.
Meine Landsmänner werden nicht verstehen, was genau die Katastrophe ist oder wo das Problem liegt. Ich habe mich auch erst über den Schnee gefreut, weil alles so schön aussieht und ja, ich mich irgendwie ein kleines bisschen wie in Russland fühlte.
Ich hatte aber den abenteuerlichen Plan nach Leipzig zur Buchmesse zu fahren. Erst am Bahnhof wurde mir bewusst, dass man es hier nicht mit 20 cm Neuschnee zu tun hatte, sondern mit einer Naturkatastrophe größeren Ausmaßes. Es wurde angezeigt, dass die Züge Verspätungen hatten, teilweise gigantische Verspätungen. Vielleicht sind sie ja des Wetters wegen über Italien von Magdeburg nach Halle gefahren. Kurzum – ich bin lieber wieder umgekehrt und nicht nach Leipzig gefahren. Ich hatte doch die Befürchtung, dass ich vielleicht am Abend überhaupt nicht mehr nach Halle zurück fahren kann, falls nochmal 3 cm Schnee fallen sollten.
Zuhause schaute ich die Nachrichten – der Flughafen Frankfurt war gesperrt, mehrere hundert Flüge konnten nicht stattfinden, die Reisenden schliefen auf Armeebetten im Terminal. Massenkarambolage auf der Autobahn – mehr als 100 Fahrzeuge wurden in einem Unfall zerstört.
So saß ich dann bei Tee zuhause und dachte über all dies nach.
Warum bricht hier alles zusammen, wenn es schneit? Warum funktioniert in Russland aber auch bei Schnee alles wie immer? Oder herrscht bei uns in Russland einfach immer so ein Chaos wie in Deutschland, wenn Schnee fällt? Ich muss darüber nachdenken, aber was soll ich auch sonst tun – es liegt ja Schnee.
In den letzten Tagen habe ich mich in Deutschland allerdings auch besonders wohl gefühlt, wie zuhause: viel Schnee, so dass man eigentlich gar nicht auf die Straße will, die Eingangstür ist auch zugehweht – schade, dass es bei mir im Büro keinen Spaten gibt.
Ilia Nasyrov, März 2013