2. Teil – Am Strand
Das Frühstück hat länger gedauert. Schon kurz vor Mittag und wir machen uns auf zum Strand. Der Weg vom Hostel ist einfach zu finden. Einfach in die Richtung laufen, aus der die Leute mit den Handtüchern und Badeutensilien kommen. Denn, natürlich, ein echter Strand-Profi kommt morgens, geht vor der Mittagshitze und kommt Nachmittags wieder. Auch hier in Russland.
Zum Strand geht es durch einen kleinen Park mit Palmen und exotischen Pflanzen, vorbei an einigen Cafés und Restaurants, bis man plötzlich am Hafen steht. Nur eine einzige große, russisch beflaggte Yacht liegt hier vor Anker.
Das in Sotschi vieles neu gemacht wurde anlässlich der olympischen Spiele sieht man an kleineren Dingen, wie den 2-sprachigen Wegweisern (englisch und russisch) oder dem auf einer Grünfläche platzierten Cочи 2014 (Sotschi 2014) Schriftzug.
Bevor wir auf die Strandpromenade einbiegen, kommen wir an ein paar Statuen vorbei die indirekt an die großen Zeiten Sotschis vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion erinnern. Die Helden des sowjetischen Filmklassikers „Der Brillantenarm“ (teilweise in Sotschi gedreht) stehen hier in Bronze gegossen auf dem Trottoir und bringen jedem Glück, der seine Hand im vorbeigehen an ihnen reibt. Eine kleine Gruppe von Touristen hat sich vor den Figuren versammelt. Groß und klein wartet auf seine Chance, ein Foto mit Andrei Mironov oder Yuri Nikulin zu machen. Die beiden Schauspieler und ihren berühmtesten Film kennt in Russland wortwörtlich jedes Kind.
Wir biegen auf die Promenade ein. Das Meer ist nicht zu sehen, aufgereihte Souvenirläden verstellen den Blick. Ein Blick auf die Kleidung der Leute auf der Promenade verrät: Das Hauptgeschäft sind T-Shirts und Kappen. Solche mit einem Sotchi 2014 Schriftzug oder welche mit einem simplen „Россия“ (Russland) auf der Brust. Ich entscheide mich für ein, wie ich später herausfinde momentan trendiges Modell (http://www.spiegel.de/panorama/leute/mickey-rourke-traegt-putin-auf-t-shirt-von-designern-aus-russland-a-985548.html), mit einem Porträt von Putin und dem Beisatz „Der höflichste aller Menschen“.
An die Souvenirläden grenzt auf der rechten Seite ein Nachtclub, vor dem junge Frauen in knapper Bekleidung stehen und Werbung machen. Auf der linken Seite beginnt die Fressmeile.
Dann, der erste Strandzugang. Ein kleines Tor, markiert mit dem Namen des Strandes. Wie üblich muss erst mal eine Strandbar durchquert werden. Hier kann, wer will, Liegen mieten, oder Essen und Trinken kaufen. Die Benutzung des Strandes aber ist kostenlos.
Eine Steintreppe noch, wir sind da. Der Strand. Voll und beschirmt. Duschen und Umkleidekabinen. Stein und – Beton. Hinten eine Betonwand, alle 100 Meter ein Betonsteg der weit ins Wasser reicht und die Strandabschnitte voneinander trennt. Anderthalb Meter hoch. Dazwischen Menschen. Wie die Gurken im Glas und trotzdem entspannt. Familien, Rentner, Halbstarke, alles ganz normal.
Wir richten uns ein im Schatten der linken Stegmauer. Dafür sind sie gut. Und zum Runterspringen, wie die Jugend einige Meter weiter eindrucksvoll beweist, wer hier keinen Salto kann, hat keine Chance. Die Wagemutigsten springen nicht ins Wasser sondern zeigen ihre Salti mit einer Landung auf den harten Kieselsteinen. Die Mädchen sind beeindruckt.
Das Wasser ist klar und angenehm, wir schwimmen zu den Wellenbrechern, die am Ende der Stege knapp aus dem Wasser ragen. Ein älteres Paar und ein einzelner Mann sitzen hier auf dem von Algen überwucherten Beton mit den Füßen im Wasser und schauen aufs Meer. Wir setzen uns dazu. Hier, wo kein Beton links und rechts die Sicht einschränkt, kommt beinahe ein Gefühl für die Weite, Wildheit und Ursprünglichkeit der See auf. Ein Gefühl aus dem Unterbewussten, das zum Hinsehen zwingt.
Zurück am Strand ist das vorbei. Ebenso könnten wir an einem Badesee sein.
Im Betonschatten lege ich mich hin, die großen Steine massieren den Rücken, das an und abschwellende Gemurmel des Strandes schläfert mich ein. Die Brandung, das Wirrwarr aus fremden Lauten und Gesprächen, die ich nur halb höre und gar nicht verstehe, vermischen sich zu einem unbekannten Wiegenlied.
Ich wache auf, weil die Sonne mir das Kinn verbrennt. Die Mauer wirft keinen Schatten mehr. Schnell ins Wasser, abkühlen. Die Steine sind heiß, wir rennen. Neben uns spazieren 2 ältere, braun gebrannte Herren, gemächlich barfuß über den Strand. Vom Wasser aus sieht man hier übrigens keine Berge, wie so oft beworben. Nur Hochhäuser, die in der Sonne schimmern, und dahinter dunkle Wolken.
Nach dem Baden kommt der Strandhunger. Was man in Deutschland am Badesee mit Pommes oder schlimmerem bekämpft, bekämpft man hier mit Schawarma und Tscheburek (Hackfleisch in Blätterteig). 2 Strände weiter die Promenade hinunter finden wir eine vertrauenswürdige Bude mit Sonnenschirmen.
Ich bestelle an der Theke bei einem jungen, braun-gebrannten Mann. Sein Kollege steht daneben. Flirtet mit einer mittelalten russischen Frau, die auf ihre Bestellung wartet. Nachdem ich meine Bestellung aufgegeben habe, spricht sie mich an. Wo ich herkommen würde, fragt sie mich, ich hätte so einen interessanten Akzent. Ich antworte in meinem besten Russisch und gehe zurück an unseren Tisch. Irgendwas ist komisch mit der Frau, denke ich mir. Ihre bestellten 2 großen Bier werden gereicht und da bemerke ich es, die Frau ist schon ziemlich angetrunken. Keine Ausnahme hier.
Plötzlich verschwindet die Sonne. Erst jetzt merken wir, dass die Regenwolken sich über uns zusammengezogen haben. Der Sonnenschirm wird zum Regenschirm. Wir bleiben sitzen und warten ab. Nach 10 Minuten ist alles vorbei.
Die nassen Oberflächen werden von der Sonne wie im Zeitraffer getrocknet. Die noch feuchte Luft macht die Hitze noch drückender.
Wir gehen ein Stück die Promenade runter. Die Geschäfte, Bars und Restaurants werden immer edler. Teilweise noch im Bau, ist das der Teil für die Touristen mit etwas mehr Geld. Hier gibt es Bars mit polierten Glasoberflächen an denen schick gekleidete Männer ihren ersten Drink des Tages nehmen, während die Kinder draußen im Pool, 10 Meter vom Meer entfernt, planschen.
Hier finden wir einen angenehmen Strandplatz, an dem ich den Nachmittag im wohligen Dämmerzustand vergehen lasse. Unterbrochen nur von einigen Badeausflügen und einem kalten Bier mit Blick auf das Treiben am Strand.
Unter einem Sonnenschutz sitzen 4 junge Männer an einem Tisch. Anhand eines Schildes und dem Megaphon, das der eine auf seinen Knien balanciert, als Badeaufsicht erkennbar. Sie spielen Karten, kippeln mit ihren Stühlen. 2 von ihnen Rauchen Eine nach der Andern. Unweit von ihnen zündet sich ein Badegast eine Zigarette an. Geübt greift der Mann mit dem Megaphon ein. Brüllt den Gast mit verstärkter Stimme und einem Fingerzeig auf ein Schild an. Rauchen verboten!
Ordnung muss sein.
Außerdem fällt auf, die Wampendichte ist hier eindeutig höher als am ersten Strand. Wohin man auch sieht, überall Männer die stolz ihre straffen, dicken Bäuche zur Schau tragen. Ein Statussymbol. Ein wenig zurückgelehnt, Bauch raus, die knappste Badehose gekauft die es gab, ein Goldkettchen und fertig ist der Look, den der gemachte Mann hier am Strand trägt.
Langsam geht der Sonne die Kraft aus. Sie beginnt alles in schmeichelnd warme Farben zu tauchen. Ich sehe einige Fischer, draußen auf dem Steg. Mit der Kamera vor dem Auge nähere ich mich ihnen. Bleibe stehen, drücke ab. Als ich die Kamera sinken lasse, sehe ich, dass sich knapp einen Meter vor mir, mitten im Steg ein Loch auftut. 2 Meter tiefer umspült Wasser den rauen Beton.
Wir machen uns auf die Suche nach einem Restaurant. Auf der Promenade ist Hochbetrieb. Unter die späten Strandgäste mischen sich die ersten Feierlustigen. Überall laufen Werbeaktionen. Bars und Klubs versuchen auf sich aufmerksam zu machen. Verkleidete junge Frauen verteilen Flyer, Maskottchen tanzen und dazwischen versuchen Straßenunterhalter ihren Teil vom Kuchen abzukriegen.
Wir werden fündig im hinteren Teil der Promenade, ein kleines Restaurant mit schönem Blick auf das Meer, den Hafen und die untergehende Sonne. Wie es gute Tradition in Sotschi ist, gibt es auch hier einen musikalischen Alleinunterhalter. Ein Mann spielt eine kitschig verzerrte Gitarre zu Instrumentalversionen erfolgreicher Pop-Songs.
Das Essen ist nicht besonders und der Kellner fasst die Gläser am Bauch an, aber das ist nicht wichtig. Die Atmosphäre ist gut, die Menschen sind freundlich zueinander, entspannt, wie schon den ganzen Tag.
Und die Sonne geht unter in den Olympischen Ringen auf der Hafenmauer.
Viktor Sommerfeld, September 2014