Böse Zungen behaupten, Ufa hätte kulturell nicht so viel zu bieten. Zu jung sei die Geschichte der Stadt, als dass sie wichtige und interessante Sehenswürdigkeiten vorweisen könnte. Zu sehr wurde der Fokus auf die Entwicklung der Industrie gelegt, auf den Bau vieler Fabriken, als dass sich Ufa jemals als Touristenmagnet hätte entfalten können. Doch auch, wenn Abgase von Fabriken und Autos die Häuser verdunkeln, verbirgt sich hinter den teils brüchigen Fassaden meist etwas tiefes, etwas entdeckungswürdiges, etwas anspruchsvolles. Bei genauerem Hinschauen erzählt die Stadt ihre Geschichte, lädt dich ein, auf einen Stadtspaziergang. Folgt mir, ich zeige sie euch, die besonderen Glanzlichter einer Großstadt, die erst bei genauerem Hinschauen zu funkeln beginnen.
1574 wurde an der Mündung des Flusses Ufa in die Belaja die heutige Stadt Ufa als Festung zum Schutz gegen kriegerische Stämme gegründet. Man erbaute eine kleine Befestigung aus Eichenholz, der die Stadt noch heute den Spitznamen „Die Eichenstadt“ verdankt. Kurze Zeit später, 1586 verlieh man Ufa das Stadtrecht und vergrößerte das Gebiet um die Festung. 1759 wurde ein Großteil der Holzfestung und der Stadt zerstört, als nach einem Blitzschlag ein Feuer ausgelöst wurde. Im 17. und 18. Jahrhundert wandelte sich Ufa von der militärischen Festung immer weiter zum wirtschaftlichen und politischen Zentrum der Region, sodass sie 1865 von Alexander II zur Hauptstadt des Gouvernements Baschkirien ernannt wurde. Im Laufe der Industrialisierung entstanden wichtige Fabriken, die Ufa zum industriellen Knotenpunkt der Region werden ließen, die Belaja entwickelte sich als Anlaufpunkt für Schifffahrt. Seit 1991 ist Ufa nun die offizielle Hauptstadt der Republik Baschkortostan, wichtiges Zentrum der russischen Erdölindustrie und Universitätsstadt.
Die Stadt Ufa dehnt sich circa 50 Kilometer von Südwest nach Nordost aus und nimmt eine Fläche von 753,7 km² ein. Der Oktoberprospekt (Prospjekt Oktjabr), die größte Hauptstraße Ufas, zieht sich mit einer Länge von 12 Kilometern durch die Stadt und könnte auch als „Straße der Sehenswürdigkeiten“ bezeichnet werden. Doch beginnen wir unsere kleine Stadtführung an einem der zentralsten Punkte Ufas – dem Gostiny Dwor, einem Kaufhaus mit Geschichte. Dieser „Gasthof“ ist das älteste Kaufhaus Ufas und war bis Ende des 18. Jahrhundert noch ein unüberdachter Markt. Erst später konstruierte man eine Überdachung. Noch heute ist das Gostiny Dwor eine der beliebtesten und luxuriösen Einkaufspassagen.
Wir folgen nun der Lenina, einer Querstraße der Puschkina bis zum Zentralni Rinok und haben somit alle Großstraßen im Zentrum passiert. Die komplexen Zusammenhänge der Stadt zu entschlüsseln dauert seine Zeit, ist aber unabdingbar, um sich halbwegs in der Stadt orientieren zu können. Der Zentralmarkt (Zentralni Rinok) ist ein Handelsmarkt, der alle Wünsche befriedigen kann. Eine Halle voll Obst, Gemüse, Milchprodukten, Fleisch, Tee – soweit das Auge reicht. Möglichkeit für Händler, ihre Waren außerhalb der Straße anzubieten.
Dem Zentralmarkt schließt sich nun der Oktoberprospekt an. Diese Straße führt bis zum Stadtteil Tschernikovka, der ehemals eine eigene kleine Stadt war und ist ein vielbefahrener Weg. Mit dem Bus benötigt man für diese Strecke mitunter eine Stunde, um vom Ende bis zum Anfang zu gelangen.
Auf dem Weg in den Norden passieren wir verschiedene Fakultäten der Universität – Landwirtschaft, Erdöl, Kultur. Auch viele weitere große Shoppingcenter, die Opfer der Moderne sind, ragen neben der Straße auf. Die Skyline der typisch stalinistischen Bauwerke in ganz Ufa, die in tristem betongrau schimmern und nicht mehr als 10 Stockwerke aufweisen, wurde durch zwei Hochhäuser erweitert, die dank ihrer 20 Etagen eine Nackenstarre erfordern, um ihre Schiefheit in ganzer Pracht bestaunen zu können. Die „schiefen Hochhäuser von Ufa“.
Einen ersten Stopp machen wir an der Haltestelle Gorsowjet. Am Leninplatz ist das obligatorische Lenindenkmal zu begutachten, das einzig übriggebliebene. Wir umrunden den Platz und gelangen in einen Park, an dessen Ende sich eine Synagoge befindet – die einzige Ufas. Die circa 8000 Juden der Stadt besitzen erst seit 2008 ein Gemeinschaftszentrum, das einen Kindergarten, eine Schule, ein Holocaustmuseum und auch ein Schwimmbad für religiöse Rituale beinhaltet. Das Gebäude beeindruckt durch seine Konstruktion: die Form des Davidsterns. Diese Synagoge in Ufa ist die zweitgrößte Russlands.
Wir steigen wieder in den Bus und passieren einige wichtige Theater Ufas. Auf der linken Seite sehen wir das Dramaturgietheater und rechts das Puppentheater, das sowohl für Kinder als auch für Erwachsene interessante Stücke zeigt. Insgesamt hat Ufa eine Vielzahl unterschiedlichster Theater vorzuweisen. Darunter ein baschkirisches, tartarisches, ein Kindertheater, eine Oper, kleinere Alternativtheater. Es gibt einen Zirkus, einige Museen, gefühlte 100 Kinos… Und wer hatte da behauptet, in Ufa gäbe es keine Kultur?
Kurz vor Ende des Prospekts entdecken wir noch einen großen Park, den Kalininapark, der im Sommer zu Spaziergängen unter Bäumen oder zum Sonnen auf einer Wiese einlädt.
Wir verlassen nun den Bus und laufen ein Stück bis zum „Denkmal der leidtragenden Mütter“. Auch wenn der Ufa- Guide vielleicht nicht viele Worte über diese Gedenkstätte verlieren wird, so ragt es wunderschön vor der Himmel-Wolken-Kulisse auf. Auf einem kleinen Hügel ist, umdacht von graphitschwarzen Platten, eine Bronzeskulptur in der Form einer Frau errichtet worden. Sie symbolisiert die leidtragenden Mütter der gefallenen Kämpfer während der Unruhen in Tschetschenien und Afghanistan ab 1951 und ist den toten Kämpfern Baschkortostans dieser Zeit gewidmet. Neben dem Denkmal befinden sich 60 Graphitplatten, in die die Namen der 685 betroffenen Familien gefallener Söhne eingemeißelt sind. 2003 wurde die Erinnerungsstätte eröffnet.
Ein paar Meter weiter gelangt man an den Eingang der größten neuerbauten Moschee Ufas – der Ljalja-Tjulpan. Ihre zwei tulpenartigen Türme ragen aus dem Boden und gaben ihr den Namen. 1994 wurde die Moschee erbaut und lädt die vielen Muslime der Stadt, die den größten Religionsanteil ausmachen, zum Gebet. Ufa ist mittlerweile Sitz der Zentrale der hohen Geistlichkeit der Muslime des europäischen Teils Russlands, Sibiriens und Kasachstans.
Wir sind jetzt mit unserer kleinen Stadtführung entlang des Prospekts am Ende. Es gibt natürlich noch viele weitere Ecken und Sehenswürdigkeiten, die im Glanze ihrer ganz eigenen Schönheit und Bedeutung erstrahlen. Da gäbe es das Monument der Freundschaft, das Reiterstandbild des Salavat Julaevs, die kleinen Parks, die Belaja… Aber da spazieren wir ein anderes Mal entlang. Jetzt entspannen wir uns erstmal mit einer Tasse schwarzen Tees mit Milch und baschkirischem Honig.
Julia Hoppe, Dezember 2009