Bereits 35 Jahre existiert der Studentenaustausch zwischen unserer Universität und der Martin-Luther-Universität in Halle. Das Jubiläumsjahr war keine Ausnahme. Denn auch in diesem Sommer wurde mit vereinten Kräften von dem deutschen Verein Freunde Baschkortostans e. V. und der Assoziation der Absolventen der Baschkirischen Staatlichen Universität Ufa ein Studentenaustausch organisiert: eine Gruppe aktiver Studenten ist im Juli nach Deutschland gefahren, und im August kehrten sie in ihre Heimat Baschkortostan zusammen mit den deutschen Studenten zurück.
Während der Fahrt mit dem Zug aus Ufa nach Moskau, und dann mit dem Bus nach Deutschland hatten die meisten Austauschteilnehmer das Gefühl, dass sie einander sehr lange kennen. Es entstand eine große Menge „interner“ Scherze und Späße. Der ganze Waggon hat mitgesungen! Zumindest nicht geschlafen – das steht fest.
Nach der Ankunft in Halle sind wir von den deutschen Studenten aufgenommen worden. Hier sind die Mieten niedrig, denn aus den meisten Städten in Ostdeutschland ziehen die Leute wegen der Arbeitslosigkeit um in den Westen, und deswegen kann die Mehrheit der Studenten sich eine anständige Wohnung leisten. Einige von uns wurden in einem Studentenwohnheim der örtlichen Universität untergebracht, was sie gar nicht bedauerten – das waren doch deutsche Wohnheime – das sind nicht unsere „obschagas“, sie sind eher einem billigen, aber guten Hotel ähnlich.
An dem Abend unserer Ankunft wurde auch in diesem Wohnheim eine gemeinsame deutsch-russische Party veranstaltet. Russische Lieder und deutsches Bier – das ist das Rezept für die wahre Völkerfreundschaft!
Am nächsten Morgen waren wir wieder unterwegs – auf dem Weg zu einem Weinberg. Dort konnten wir uns im Grünen erholen: Ball und Frisbee spielen (auf Russisch heißt es „die fliegende Untertasse“; die Deutschen mögen das Spiel sehr), in einem See baden.
[Salzsee ist falsch, sie waren evt. im „Süßen See“ baden, einfach „See“ ist immer richtig!]
Jeden Monat veranstaltet der lebenslustige Winzer Rene Konzerte für alle Interessenten. Wir haben auch eins davon besucht – die deutsche Gruppe «Last Fair Deal» hat richtigen amerikanischen Country-Blues gespielt. Während des Auftritts hatten wir das Gefühl, dass wir uns nicht auf einem Weinberg, sondern irgendwo in einer Farm in Texas befinden – zwischen unendlichen Maisfeldern. So ist sie, die „Zauberkraft“ der Kunst!
Schon am dritten Tag des Aufenthalts in Deutschland haben wir bemerkt, dass viele Russen begannen, mit deutschem Akzent zu sprechen.
Gegen Abend veranstaltete der gastfreundliche Winzer eine Verkostung der Weine aus seinem Anbau. Es war sehr lecker, lustig und mit viel Lärm verbunden. Rene ist einer der gutherzigsten und lustigsten Deutschen, die wir in Deutschland kennen gelernt haben.
Am Abend gab es wie immer Lieder mit Gitarrenbegleitung am Feuer zusammen mit Rene und seinen vielen deutschen Gästen. Wie es sich herausstellte, kennen die „Freunde Baschkortostans“ viele unserer Lieder und singen gut auf Russisch.
Nach der Rückkehr nach Halle haben wir Fahrräder ausgeliehen. Halle ist eine kleinere, stille Stadt mit weniger Einwohnern und deshalb sind Fahrräder hier das bequemste Verkehrsmittel. Zwar haben sich „die Russen“ auch hier gezeigt – einige Unfälle, Gelächter, Spaß und ausgelassene Rasereien gehörten dazu.
Nach einer aufschlussreichen Stadtführung durch örtliche Sehenswürdigkeiten fand im Rathaus offizielle Begrüßung unserer Gruppe durch die Bürgermeisterin von Halle Frau Szabados statt. Diese angenehme, energiegeladen und gutherzige Frau kommunizierte mit uns und „unseren“ Deutschen ohne überflüssige Umstände, mit Scherzen und auf gleicher Augenhöhe. Unsere „Stadtverwalter“ können sich etwas bei ihren deutschen Kollegen abgucken.
Die Führung durch die örtliche Universität hinterließ einen großen Eindruck bei uns. In Deutschland entspricht eine Universität einigen der unseren Universitäten. Damit es klar wird – die Lehranstalt, die bei uns Kunstinstitut genannt wird, ist hier „nur“ eine Fakultät. Solche große und für unsere Maßstäbe schicke Hochschule kann man ohne Umschweife „alma mater“ nennen.
An einem weiteren Tag während unseres Aufenthalts in Deutschland, den wir „Tag der Großindustrie“ nennen würden, besuchten wir den amerikanisch-deutschen chemischen Betrieb «Dow Chemikal Company» und eines der größten Kraftwerke in der Welt, das „Kraftwerk Schkopau“. Einige von uns haben zur Erinnerung an diese Führung rote Schutzhelme als Geschenk mitgenommen.
In der Nacht hatten wir viel Vergnügen im örtlichen Disco-Club „Turm“, der sich wirklich in einem alten Turm befindet – das sind Überreste der uralten Burg. Wir hatten viel Spaß, aber es gab hier viel mehr Ausländer, als Deutschen: Halle ist in erster Linie eine Studentenstadt. Wir haben hier auch einige Russen getroffen – es sind sehr viele hier in Ostdeutschland.
Während der 5tätigen Fahrradtour konnten wir viele Städte und Dörfer des Landes Sachsen-Anhalt besuchen: Bernburg, Mücheln, Wettin, Schwarz, Klein Rosenburg, Zerbst, Wespen, Gnadau, Schönebeck, Magdeburg und überall hatten wir Exkursionen durch die örtliche Sehenswürdigkeiten. Zwar war die Fahrradtour für einige von uns eine große Herausvorderung, aber alle waren zufrieden.
In Klein Rosenburg hat unsere Gruppe zum ersten Mal unser Kulturprogramm präsentiert, dass russische und baschkirische Volkslieder und –tänze, sowie moderne Unterhaltungsauftritte umfasst. Das Konzert fand in den Ruinen einer alten Festung, die damals Slawen gebaut haben, statt und rief eine großes Interesse und einen beständigen Erfolg unter der einheimischen Bevölkerung hervor. Die Bestätigung dafür waren fast 100 Euro, die wir verdient haben.
Der Besuch in Zerbst ist auch besonders im Gedächnis geblieben – in einer abgelegenen Stadt, deren einziger Stolz das Museum von Katarina der Großen und ein Drittel von ihrem zerstörten Schloss ist, das auf eigene Kosten eine internationale Organisation namens „Katarina die Zweite“ betreibt.
In Wespen wurde uns eine alte Holzfestung gezeigt, die im 16 Jahrhundert von vertriebenen Evangelisten gebaut wurde. Einen Mitwirkenden im Ensamble „Tausen“, den Philologen Vlad Zverev, ließ man an die Orgel und er spielte ein originelles Potpourri aus russischen Volkslieder und „Murka“. Wir waren begeistert, die Deutschen auch. Noch nie klangen in den Wänden dieser Kirche unsere heimatlichen Melodien!
In Schönebeck hatten wir ein Mittagessen im Rathaus. Interessant, denn kann in Russland ein einfacher Mensch in einem Restaurant essen, das sich in einem Gebäude der Stadtverwaltung befindet? Wohl kaum…
Die Führung im Gradierwerk und durch den Solkurort hat alle verwundert. Wir konnten uns so etwas nicht vorstellen: Die dreihundert Meter lange Anlage, die Saline, ist, wie es sich herausstellte, „nur“ ein Überrest. Einst war sie 2 Kilometer (!) lang.
In Magdeburg haben wir eine Kathedrale besucht. Das war ergreifend, uns fehlen die Worte. Sie hatte einfach eine gigantische Größe – man fühlt sich winzig, wie ein Insekt, wie eine Fliege im Augapfel eines Menschen. Jedermann hat eine Tasche und ein Abzeichen als Geschenk bekommen.
Das bedeutendste Ereignis nach unserer Rückkehr nach Halle war die Vorbereitung und Durchführung des Abends der russischen Küche. Wir haben zubereitet: Borsch, Okroschka, traditionelle Salate, Bliny mit verschiedenen Füllungen, und natürlich haben wir Pelmeni und russischen Wodka nicht vergessen. Alle waren zufrieden.
Wir besuchten auch die Russendisco – es gibt in Halle auch diese wunderbare Veranstaltung. Zwar wurde nicht „richtige“ Diskomusik gespielt – es war mehr russischer Rock: von „Leningrad“ bis „Prikluchenija Elektronikov“.
Wir besuchten auch die örtlichen Radiosender für Jugendliche „MDR Jump“, „Sputnik“ und „Radio Corax“, wo wir beobachten, wie Susanne und Kerstin in einer Life-Sendung arbeiten, und erfahren haben, wie Radiobeträge gemacht werden.
Und außerdem hatten wir viel Freizeit. Einige haben sie fürs Shopping gebraucht, die anderen für ein weiteres Kulturprogramm und einfach für Ausflüge. Alle haben sich ein Mal (mindestens!) in Halle verirrt, wir wurden dicke Freunde: mit den Organisatoren und mit unseren deutschen Austauschkollegen… Und so ist es kein Wunder, dass wir mit einer noch enger befreundeten Gemeinschaft zurück gefahren sind…
Leider ist der Platz in einem Zeitungsartikel begrenzt. Wir würden gern noch über viel anderes erzählen: über Deutschland und Russland; unsere und deutsche Lieder (in diesem Jahr hatten wir als Hits „Kon’’“ von Lube und «Zombie»); über verschiedene Ereignisse, komische und einfach rührende; und auch über den Aufenthalt der Deutschen in Russland; über die Paddeltour auf dem Jurusan; über die Arbeit der internationalen deutsch-russischen Brigade im Kinderheim Nr. 9 in Ufa, das bereits mehrere Jahre unter Patenschaft der Baschkirischen Staatlichen Universität steht; über den Ausflug in das Sportlager „Nagajevo“, wo unsere internationalen Mannschaften im Volleyball und Fußball die Lagerbewohner geschlagen haben…
Aber wir haben nicht unendlich viel Platz. Deswegen verabschieden wir uns und möchten uns nochmal bei allen bedanken, die an diesem Austausch teilgenommen und ihn organisiert haben, mit einem Wort bei allen Leuten, ohne die der Austausch nicht stattgefunden hätte.
Danke!!!
S. Arapov, D. Mukhametkulov, 2004