Ufa. Eine Ausstellungseröffnung in der Galerie „Aid’art“. Für einen Menschen, der diese Ufaer Institution und die mit ihr in Verbindung zu bringenden Menschen bereits kennt, würden diese ersten an sich Nichts aussagenden Sätze völlig ausreichen, um einen gelungenen und verrückten Abend in der Uralmetropole zu beschreiben. Den Unwissenden unter euch sei dieser Artikel herzlich gewidmet!
Die belebte Leninstraße im Zentrum von Ufa war wie immer voll von Menschen, nicht zuletzt aus dem Grund, dass das Wetter an diesem wunderschönen herbstlichen Freitag geradezu zu einem Spaziergang einlud. Auch wir, zwei etwas verlorene Journalistikanfänger, die erst seit zwei Tagen in Ufa sich befindend und von den allerersten Eindrücken bereits etwas erdrückt, waren an diesem Abend an der beliebten Meile mit dem Ziel, unser erstes Interview zu machen und daraufhin womöglich einen interessanten Artikel zu schreiben. Der genaue Ort, an dem wir diesen spannenden Interview-Plan in die Tat umsetzen wollten, ist die Galerie „Aid’art“ – ein etwas versteckt liegender und von außen her betrachtet etwas unscheinbarer Laden, der in einem schon nahezu mysteriösen Vorhof sich befindend, wegen seiner Lage anfänglich sogar den Anschein erweckte, unentdeckt bleiben zu wollen.
Der Vorhof und die Galerie sind durch einen kleinen Durchgang direkt gegenüber dem „Gostiny Dvor“ zu erreichen – dieser Durchgang befindet sich inmitten der Häuserwand der Leninstrasse. Beim Betreten des Vorhofs, der von alten Häuserfassaden umringt ist und eine alte Bauruine „beherbergt“, erblickten wir sofort diejenige Person, mit der wir ein Interview machen wollten – Aidar Almetow. Er ist der Inhaber der Galerie „Aid’art“ und stellt dort in einem von zwei Sälen seine eigene Kunst aus. Seine ungewöhnlichen Bilder haben wir schon vor der Ausstellungseröffnung bei unserer ersten Begegnung mit Aidar bewundern können – Bilder voll von lebendigen Farben, märchenhaft und mythisch anmutenden Motiven und symbolhaften Darstellungen. Die Stilrichtung seiner Bilder bezeichnet er als „dekorativen Symbolismus“, doch als wir mit ihm über seine Kunst sprachen, schien es uns, als ob noch nicht einmal er selbst für seine in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen fallende Kunst eine bestimmte Bezeichnung finden kann.
Die erste Begegnung mit unserem Interview-Zielobjekt an diesem Freitagabend stellte gleichzeitig auch die erste Überraschung des Abends, der zu einem unvergesslichen Erlebnis werden sollte – Aidar saß auf einer kleinen mitten im Hof aufgestellten Bühne, spielte Gitarre und sang. Die Lieder, die er performte, so sagte man uns später, sind dazu auch noch von ihm selbst geschrieben worden. Der unerwartete Anblick eines singenden Aidar, eines singenden Malers, die zahlreichen alten Fensterläden rund um den Vorhof und die mysteriöse Ruine gleich neben der Bühne – diese Symbiose ließ im Vorhof eine ungewöhnliche Stimmung aufkommen und wir fühlten uns gleich von dieser auf eine angenehme Art und Weise erfasst.
Nach der Performance einiger Lieder bat Aidar alle Anwesenden und Zuhörenden rein in die Galerie, genauer gesagt in den unteren Stock, in den Aidar und seine Frau einen Tisch reingestellt und gedeckt haben (Wodka in großen Mengen incl.). Nach einiger Toasts zum Wohl der Gäste und des Künstlers, dessen Bilder im zweiten Saal der Galerie platziert wurden und dessen Kunst ebenso aus dem klassischen Rahmen fällt, wie die Aidars, wurde die Ausstellung offiziell für eröffnet erklärt und die Party begann – die Gäste tranken Wodka und Sekt, aßen, redeten über die Bilder von Aidar und dem zweiten Künstler, dessen Namen ich leider vergessen habe, und tranken wieder. Jede feuchtfröhliche Trinkrunde weiter wirkte die versammelte Gesellschaft aufgeschlossener und auch wir waren einige Zeit später heiter und aufgeschlossen genug um lästige Formalitäten im Gespräch außer Acht lassen zu können und ein wahrhaftig offenes Gespräch mit Aidar zu beginnen.
Aidar, der sich den ganzen Abend hindurch uns gegenüber sehr nett und kommunikationsbereit zeigte, obwohl er eine große Anzahl von Gästen zu bewirten hatte und auch ständig von seinen zahlreich gekommenen Freunden und Kollegen angesprochen wurde, beschrieb uns seinen Weg zur Kunst, der mitten in der Umbruchsepoche der alten sowjetischen Gesellschaft lag.
Mit fünfzehn den trauten Familienverhältnissen des baschkirischen Provinznests Neftekamsk nach Minsk entflohen, prägte ihn diese Zeit der ersten selbständigen Gehversuche in der großen weiten Welt nachhaltig: „Die vier Jahre, die ich in Weißrussland verbracht, prägten mich als Menschen nachhaltig – die der westlichen sehr viel nähere weißrussische Mentalität und Lebensweise, als die, die ich von Baschkirien her kannte, beeinflusste mich auch in künstlerischer Hinsicht in einem entscheidenden Maße“.
Nach vier Jahren in Minsk folgte der Dienst in der sowjetischen Armee, eine Zeit, an die sich Aidar nicht gerne erinnert: „Für mich als künstlerisch geprägten Menschen bedeutete der Dienst an der Waffe Unterwerfung und sturer Gehorsam – Phänomene, die bestens dazu geeignet sind, die künstlerische Ader in einem Menschen aussterben zu lassen. Ich habe während dieser Zeit dennoch versucht, mich als Maler und Musiker so weit es ging zu betätigen und malte z.B. Plakate für anstehende militärische Paraden und Jubiläen“. Nach dem Dienst in der Armee kehrte Aidar nach Baschkirien zurück, jedoch nicht in seine Geburtsstadt Neftekamsk, sondern in die Republikhauptstadt Ufa. Er begann das Studium an der Ufaer Kunstakademie an der Leninstraße, eine Zeit, die ihn als Künstler vollends formte und ihm das nötige Know-how brachte.
In diese Zeit fallen auch seine Tätigkeiten als Unternehmer, die er selbst folgendermaßen beschrieb: „In der Perestrojkaphase wurde besonders die junge Generation der sowjetischen Bürger von der allgemeinen Umbruchs- und Neuanfangsstimmung erfasst und ich stellte diesbezüglich keine Ausnahme – wir junge Unternehmer träumten damals vom großen Geldverdienst und manche von uns sogar vom Aufbau kapitalistischer Imperien; die aktive Jugend war euphorisiert von dem Gedanken, schnelles Geld machen zu können – meine Vorstellung war es damals, genügend Geld zu verdienen, um ein Leben als finanziell unabhängiger Künstler führen zu können. Ich merkte jedoch relativ bald, dass ich mich mit der Tätigkeit als Unternehmer in keiner Weise identifizieren konnte und besann mich auf die Kunst – meine Lebensaufgabe“. Mit Unterstützung von Freunden und Kollegen und vor allem durch die in den vergangenen Jahren erworbene regionale Popularität ermöglicht, öffnete Aidar Almetow (tatarisch Aidar Elmet) vor vier Monaten seine eigene Galerie mit dem Ziel, einen Ort in Ufa zu verankern, in dem junge alternative Künstler, die in anderen Ausstellungsräumen und Galerien aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit dem klassischen Anspruch an die „nationale Kunst“ bzw. aufgrund ihrer Originalität auf kein offenes Ohr stoßen, die Möglichkeit haben können, ihre Kunst der Öffentlichkeit zu präsentieren. „Es soll ein Ort werden, an dem jeder talentierte Mensch sein Können präsentieren und unter Beweis stellen kann, und nicht nur diejenigen, die von bestimmten Vereinen bzw. Institutionen bevorzugt werden“, so Aidar. Und nach unserem Besuch in seiner Galerie „Aid’art“ sind wir auch davon überzeugt, dass ihm dieses Vorhaben gelingen wird – Ufa und ihre Bürger können davon jedenfalls nur profitieren!
Wer sich persönlich von der Idee der schrankenlosen Kunst in Ufa überzeugen möchte, dem sei diese Galerie wärmstens empfohlen – die genaue Adresse geben wir hiermit an alle Leser von „Baschkirienheute.de“ mit großem Vergnügen weiter:
Galerie „Aid’art“
Ul. Lenina 20/2
Webseite: www.aidart.ru
Wir bedanken uns bei allen unseren Lesern für die Ausdauer und Geduld – somit ist unser erster Artikel für Baschkirienheute.de fertig gestellt ?
Sergey Simonov, Katrin Hennig, 02.11.05