Wenn man durch die Straßen Ufas läuft, baschkirische Wohnungen betritt oder ein Spiel der lokalen Eishockeymannschaft besucht, kommt man an seinem Namen nicht vorbei. In Baschkortostan ist er allgegenwärtig, sogar eine Großstadt ist nach ihm benannt. Die Rede ist vom baschkirischen Nationalhelden Salawat Julajew.
Salawat Julajew wurde am 5. Juni 1754 in dem Dorf Tekejewo geboren. Da es in Baschkortostan zwei Dörfer mit diesem Namen gibt, beanspruchen beide für sich, Geburtsort des Nationalhelden zu sein. Die Einweihung eines Denkmals im einen Tekejewo führte vor einiger Zeit zu großen Protesten im zweiten Tekejewo. Schon dieses Beispiel zeigt, von welcher Bedeutung Salawat Julajew für die gesamte Region ist.
Schon Salawats Vater war ein bedeutender Heerführer der Baschkiren und nahm auf der Seite der Russen im Jahre 1770 am Krieg gegen die Polen teil. Salawat blieb als ältester Sohn im Dorf und übernahm entsprechend der Tradition die Aufgaben und Pflichten seines Vaters. Da er in einer vom Krieg geprägten Umgebung aufwuchs, erlernte er schon früh das Kämpfen. So soll er der Legende nach im Alter von 14 Jahren einen Bären allein mit einem Dolch erlegt haben. Das erklärt, wieso Salawat trotz seiner Jugend eine so wichtige Funktion in dem Pugatschow–Aufstand von 1773 bis 1775 ausübte.
Pugatschow war Kosake, der sich als Zar Peter III. ausgab. Jener Zar war ein reformorientierter Herrscher gewesen, ganz dem aufgeklärten Absolutismus verschrieben. So hatte er unter anderem den Bauern die Aufhebung der Leibeigenschaft versprochen. Doch bereits sechs Monate nach Regierungsantritt wurde der Zar 1763 ermordet. Seine Gemahlin Katharina II. folgte auf den Thron und nahm viele Versprechungen Peters III. wieder zurück. Viele Menschen in Russland verehrten Peter III. auch noch Jahre nach seinem Tod, wovon Pugatschow bei seinem Aufstand gegen die russische Zentralgewalt profitieren konnte. Dem Aufstand schlossen sich Baschkiren und andere Völker der Wolgaregion an. Zunächst gelang es den Aufständischen weite Gebiete zwischen Ural und Wolga zu besetzen, doch Anfang 1775 errangen die kaiserlichen Truppen den Sieg. Pugatschow wurde gefangen genommen und in Moskau hingerichtet.
Professor Nasir Kulbachtin, Experte für baschkirische Geschichte an der Staatlichen Baschkirischen Universität, ist sich sicher, dass Salawat Julajew während des Aufstands nicht eine einzige Schlacht verloren hat. Das hänge unter anderem mit der von ihm angewandten Taktik zusammen. Baschkiren waren schon immer Nomaden gewesen und wie alle Turk-Völker ausgezeichnete Reiter. Julajew nutzte dieses Können, indem er den Gegner durch blitzschnelle Attacken seiner hoch disziplinierten Kämpfer einkesseln ließ und durch fluchtartige Rückzüge größere Verluste vermied. In seinen Kampfgruppen vereinte er Baschkiren und andere Völker. Verwendet wurden vor allem klassische Waffen wie Pfeil und Bogen sowie Säbel. Doch später passte Julajew die Taktik an die des zaristischen Feindes an und ließ auch vermehrt Gewehre und Kanonen einsetzen.
Ende November 1775 wurde auch Salawat Julajew gemeinsam mit seinem Vater gefangen genommen und in die estnische Festung Rogervik geschickt. Dort verbrachte er noch den Rest seines Lebens, bevor er am 26. September 1800 verstarb. Die herrschende Zarin Katharina die Große wollte den Aufstand und alle mit ihm verbundenen Personen aus dem Gedächtnis der Bevölkerung tilgen. So war es jahrzehntelang nicht erlaubt, den Namen Salawat Julajew auch nur zu nennen.
Der Ursprung des Mythos Salawat Julajew liegt aber nicht nur in seinem Märtyrertod für den Unabhängigkeitskampf der Baschkiren, sondern vor allem in seinen lyrischen Hinterlassenschaften aus der langen Zeit in Gefangenschaft. Seine Gedichte spendeten vielen Baschkiren auch nach seinem Tod Hoffnung auf bessere Zeiten. Noch heute werden sie von vielen baschkirischen Schulkindern gelesen und gelernt.
In der ganzen Republik Baschkortostan gibt es heute viele Denkmäler und Einrichtungen, die den Namen von Salawat Julajew tragen. Die wichtigste Sehenswürdigkeit von Ufa ist ein überdimensionales Reiterstandbild des Helden, das über dem Fluss Belaja thront. In dem Ort Malojas gibt es ein Salawat-Julajew-Museum. Dort wird unter anderem sein Säbel ausgestellt. Der Griff ist aus gelbem Kupfer in der Form eines Löwenkopfs und mit kleinen Steinen geschmückt. Auf der Schneide ist etwas in arabischer Schrift eingraviert, das bis heute aber kein Wissenschaftler hat übersetzen können.
Das Bild Salawats in der heutigen Bevölkerung ist gespalten. Gilt er für Baschkiren als wichtigster Verteidiger der baschkirischen Nation, wird er von Russen kritischer betrachtet. Ein baschkirischer Freund berichtet, dass in seiner Schulzeit eine russische Lehrerin vor versammelter Klasse Salawat einmal als Dieb und Dissidenten bezeichnet hat – also ganz in der Tradition Katharinas der Großen. Einige Dinge ändern sich nie…
David Witkowski, März 2013