Das Flugzeug „Frankfurt-Moskau“ landete. Und je weniger Zeit mir blieb, desto stärker schlug mein Herz. Nein, das war nicht die Angst vor Flugzeugen. Ich kehrte bloß nach Hause, nach Russland, zurück – nach viermonatigem Aufenthalt in Deutschland.
Im Flughafen war eine Schlange vor der Passkontrolle. Es war wahrscheinlich nur die ersten 5 Minuten still. Und nachdem jemand sagte: „Na, wie lange sollen wir noch warten? Können Sie ein bisschen schneller sein?“ – kam der Menschenhaufen in Bewegung. Und es kam zu einem Geplänkel zwischen den Angekommenen und dem Flughafenpersonal. „Wir sind wieder in Russland!“ – konnte man am Ende der Schlange hören. Ich sah mich um. Ein Mann betrachtete aufmerksam die Situation und lächelte. Ja, das ist Russland! Und es ließ in mir sogar den Wunsch wach werden, sich in dieses entbrannte Geschimpfe einzumischen.
Es blieb sehr wenig Zeit bis zur Abfahrt meines Zuges aus Moskau nach Ufa. Ich hatte mich an die Pünktlichkeit der Verkehrsverbindungen in Deutschland gewöhnt und deswegen hatte ich den Vorschlag rundweg abgelehnt, das Bahnhofsgebäude zu verlassen. „Wir haben noch ausreichend Zeit, wir schaffen es!“ – versicherte mein Bruder, der mich in Moskau abgeholt hat. Es hatte keinen Sinn, Widerstand zu leisten. Beim Suchen eines anständigen Cafes irrten wir eine halbe Stunde in Moskau herum. Endlich hatten wir uns entschieden, Essen bestellt – da sagte mein Bruder: „Wir verspäten uns, los!“. Wir rannten mit Lichtgeschwindigkeit zum Bahnhof. Die Schuhe, die mir in Deutschland treu gedient hatten, rutschten auf der russischen Eisglätte und jede Minute riskierte ich hinzufallen. Fast im Laufen bin ich in den Waggon hineingesprungen. Ildar schrie mir zu: „Ich habe doch gesagt, wir schaffen es!“ – und lächelte. Ja! Das ist Russland! Das man mit keinen logischen Erklärungen beschreiben kann. Und in diesem Moment bedauerte ich sogar mein nicht aufgegessenes Abendessen nicht. Daran erinnerte ich mich erst später. Es stand mir doch eine 28stündige Fahrt bevor.
Mein Erscheinen im Waggon hatte allgemeines Interesse geweckt. Jetzt fragte mich jedermann, warum ich gelaufen war, wo ich überhaupt herkomme und so weiter. Zuerst war ich erstaunt, warum es sie etwas angeht und ich schwieg mich aus. Da hatte ich mich aber verrechnet. Bereits nach einigen Stunden habe nicht nur ich über mich selbst erzählt, sondern auch sehr viel über meine Nachbarn erfahren. Eine Frau erzählte über die bevorstehende Entbindung, die andere darüber, wie sie mit ihrer Wohnung betrogen wurde. Ein junger Mann erzählte über seinen Armeeaufenthalt und über seine Krankheit. Ein Mann berichtete über sein Unternehmen und Scheidung von seiner Frau. Ich hatte das Gefühl, als kannten wir uns schon das ganze Leben lang.
In Ufa stieg ich aus dem Zug aus und bestellte ein Taxi. Ich hatte den gleichen Weg mit einem Nachbarn. Als wir bei mir zu Hause ankamen, wollte ich bezahlen. Das führte zu einem gewissen Erstaunen beim Taxifahrer und bei dem Nachbarn. Das Resultat war, dass für mich bezahlt und meine Taschen sogar bis zur Wohnung gebracht wurden!!!
Und alles andere war wie in einem Märchen. Ich konnte einen Haufen von Geschirr abwaschen, ohne das Spülbecken zuzustöpseln; dutzende Male ein Bad nehmen, und noch besser jeden Tag in die Banja gehen; stundenlang telefonieren; barfuss in der Wohnung laufen, ohne Angst zu haben, mich zu erkälten; in der Nacht in ein Geschäft einkaufen gehen; durch die Stadt mit dem Taxi fahren; eine Schneeballschlacht veranstalten, mich in Schneehaufen wälzen, und natürlich Pelmeni, Manty, Bliny, Piroggen genießen… Und auch Pfirsichsaft, den ich in Deutschland nicht gefunden hatte.
Aber jedes Märchen hat sein Ende. Drei Wochen waren verflogen wie drei Tage… Und der Flug „Moskau-Frankfurt“ brachte mich wieder zurück nach Deutschland….
Dilara Dilmukhametova, 14.04.05