Auch vor Ufa macht das Weltgeschehen nicht halt. Am 16. März 2014 – dem Tag des Referendums auf der Krim – haben sich hier, wie in verschiedenen anderen Städten des Landes auch, Menschen zur Unterstützung der russischsprachigen Bevölkerung auf der Halbinsel zu einer Demonstration versammelt. Es war eine sehr spezielle Sicht der Dinge, die dabei stark konzentriert zum Ausdruck gebracht wurde.
Bereits aus einiger Entfernung sichtbar waren die übergroßen, schwarz-orange-schwarzen Fahnen – die Farben des Georgs-Ordens, einer seit dem 18. Jahrhundert existierenden militärischen Verdienstauszeichnung. Benutzt werden diese Farben aber auch von der sogenannten „Nationalen Befreiungsbewegung“ (Nazionalnoe-oswoboditelnoe dwischenie, NOD). Sie sieht sich im Kampf um die Wiederherstellung der territorialen Ganzheitlichkeit Russlands, die dieses 1991 dank des „Verräters Gorbatschow“ verloren habe. „Russland, Ukraine, Belarus – ein Volk!“, heißt es in diesem Selbstverständnis.
Die NOD ist an sich nicht unbedingt eine Massenbewegung. Ihre Kernaussagen jedoch, gerade etwa zur historisch begründeten Zusammengehörigkeit der drei genannten Länder, sind allgemein unter großen Teilen der russländischen Bevölkerung weit verbreitet und gerade im Zusammenhang mit den Geschehnissen in der Ukraine und der Lage auf der Krim hoch aktuell und emotional stark aufgeladen. In zahlreichen russischen Städten hatte die NOD deshalb für den 15. und 16. März zu Veranstaltungen in Unterstützung des Referendums aufgerufen: „Krim, komm nach Hause zurück“, lautete dabei eine der zentralen Losungen. Man unterstütze das Streben der Krim-Bewohner nach Freiheit, historischer Gerechtigkeit und einem normalen und ruhigen Leben. „Ein Volk, eine Geschichte, ein Schicksal!“
In Ufa sind etwa 300 Menschen dem Aufruf gefolgt, für lokale Verhältnisse nicht unbedingt wenig. Dabei entstand allerdings der Eindruck, dass es sich hierbei in erster Linie um den aktiven Teil der eigenen, aber auch der Anhänger anderer Organisationen gehandelt hat: neben einem Meer aus NOD-Fahnen sind ebenso LDPR-Fahnen und jene der PWO (Partija Welikoe Otetschestvo – Partei Großes Vaterland) zu sehen. Außerdem haben sich einige Desantniki eingefunden, Angehörige der Luftlandetruppen, die ebenfalls ihre Fahnen in die Höhe hielten. Dazwischen fanden sich weitere Teilnehmer verschiedenster Altersstufen. Jungen in Camouflage, die Russlandfahnen schwenkten. „Die Krim war, ist und wird immer Russland sein“, ließ sich eine Teilnehmerin vernehmen. „Eine andere Wahl gibt es nicht. Nur nach Russland, nach Hause!“
Der Marsch folgte einer Route von etwa zwei Kilometern entlang der zentralen Magistrale der Stadt. NOD-Aktivisten verteilten während der ganzen Zeit die März-Ausgabe ihres Bulletins an Passanten. Der Leitartikel darin, eine Analyse der Ereignisse in der Ukraine. Auch hier jene grundlegende Einschätzung, wie sie in den letzten Monaten in den meisten großen Massenmedien des Landes ständig wiederholt worden ist: beim Umsturz in Kiew handelte es sich um eine ungesetzmäßige Ergreifung der Macht durch faschistische Kräfte, unterstützt durch die USA und die EU. „USA – Sponsor des weltweiten Terrors“, lautete eine der Losungen auf den mitgeführten Bannern. Eine andere: „Kein Weiterkommen dem Faschismus“ (Faschism ne projdjot).
Ähnliches war bereits in der Ankündigung zur Veranstaltung zu lesen, in der es hieß, dass „der Faschismus und die Aggressionen des Nato-Blocks nicht hinnehmbar seien“. Einer der Organisatoren erklärte während des Marsches: „Nur vereint können wir jeden beliebigen Feind zurückschlagen“. Sein schwarzes T-Shirt trug die Aufschrift Berkut. „Wenn wir keinen Maidan in unserem Land wollen“, so sagte er weiter, „dann dürfen wir nicht nach Westen schauen, sondern wir müssen den Patriotismus in unserem Land stärken.“ Ganz wie zur Bekräftigung dieser Aussage wirkte ein Plakat am Lastwagen der Organisatoren, in dem nach Ende der Veranstaltung alle mitgebrachten Banner verschwanden: ein mächtiger Braunbär blickt einem Weißkopfadler, dem Symbol der USA, streng in die Augen, beide brüllen sich scheinbar an. „Unser Land – unsere Regeln“ stand unter dem Bild geschrieben.
Nach Abschluss des Marsches, kurz nachdem dieser bereits offiziell für beendet erklärt worden war, tauchte plötzlich ein Mann mit iPad auf. Er stellte sich selbst als Bürgerjournalist vor, filmte die Anwesenden und stellte Fragen nach der Rechtmäßigkeit des Referendums. Anfangs versuchte man noch mit ihm zu diskutieren. Es wurde allerdings schnell klar, dass er wohl eine andere Meinung vertritt und man verlor schnell die Geduld. Er wurde als Provokateur beschimpft, man fragte nach seiner Zugehörigkeit und beantworte sich die Frage gleich selbst: „Welche schon, ganz sicher von der Partei des analen Fortschritts.“ Eine grobe Anspielung auf die Partei des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny (Partija Progressa). Das es aus Sicht der Demonstrationsteilnehmer nur einen Weg aus der Krise gebe, machte nicht zuletzt auch eine Losung während des Marsches sehr formelhaft deutlich: „Heimat. Freiheit. Putin!“
Matthias Kaufmann, März 2014